In subversiver Schönheit zelebrierte Denkschleifen
Erste große Retrospektive von Ernst Caramelle im Wiener mumok: „Ein Resümee“ nennt der Tiroler Konzeptkünstler den spannenden Blick zurück.
Von Edith Schlocker
Wien –Mit dem Titel seines mit rund 350 Arbeiten bestückten Rückblicks auf das in mehr als vier Jahrzehnten Gemachte schließt Ernst Caramelle einen Kreis. Hat der Konzeptkünstler, der vor 65 Jahren in Hall geboren wurde und heute in Frankfurt und New York lebt, doch bereits 1976 seine Diplomarbeit bei Oswald Oberhuber an der Wiener Angewandten mit einer Box abgeschlossen, die 23 Zeichnungen, zwölf Fotografien, einen Super-8-Film, ein Tonband und eine Flasche enthält und „Resümee“ heißt.
Diese Box, die bei der Wiener Schau erstmals zu sehen ist, nimmt so ziemlich alles vorweg, was die Einzigartigkeit der Kunst Caramelles ausmacht, der von den wichtigsten Museen der Welt ausgestellt wird, in Österreich allerdings zuletzt vor 25 Jahren in der Wiener Secession. Also höchste Zeit, diesem wichtigen Zeitgenossen eine große Personale zu widmen, die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler von Sabine Folie klug kuratiert ist. Begleitet von einem nicht nur im wahrsten Sinn des Wortes schwergewichtigen Katalogbuch, das die Schau überleben wird, im Gegensatz zu zwei riesigen, direkt an die Wände der zwei Ausstellungsräume gemalten Bilder mit exaktem Ablaufdatum.
Eine Idee, die Caramelle gut gefällt. Mag er doch das Ephemere, das subversiv Hintergründige, auch das Ironische. Die kleine Setzung zieht er dem Brachialen eindeutig vor, das Spiel mit diversen Ebenen des Realen genauso wie Gedachten. Was für ihn keinen prinzipiellen Unterschied ausmacht, wie unzählige Zeichnungen vorführen. Die unmittelbar vom Hirn über die Hand aufs Blatt fließen, zelebriert oft als ironische Selbstbefragungen, um sich selbst und seine Rolle als Künstler und Mensch in dieser Welt zu begreifen.
Das im mumok zu Sehende folgt ganz bewusst keiner exakten Chronologie, sondern zeigt im Nebeneinander ganz früher und erst kürzlich entstandener Arbeiten, wie treu sich Caramelle seit seinen Anfängen geblieben ist. Etwa dem Schönen, das aber nie leicht zu begreifen ist, gespickt mit kunsthistorischen Bezügen und Denkschleifen, die ebenso erzählerisch vertrackt wie formal schlicht sein können.
Die ganz frühen Arbeiten berühren in ihrer fast statuarisch anmutenden Archaik. Vorgeführt in einer Reihe quadratischer, praktisch „nur“ weiß grundierter Bilder, die wie abstrahierte Gesichter daherkommen. Mit Augen, die winzige Gemälde sind, flirrend wie die Monitore, die Caramelle in den 80er-Jahren in ein großes kastenartiges Objekt eingebaut hat. Bemalt mit Rotwein, einem prinzipiell absolut ungeeigneten Malmaterial.
Aber gerade sein Wesen, sich immer wieder zu verändern, zu verblassen, bevor es ganz verschwindet, mag Ernst Caramelle. Weshalb er auch gern die Sonne in sie gelegte Papiere „bemalen“ lässt. In einem meditativen, oft Jahre dauernden Prozess. Aber auch Räume spielen in Caramelles Kunst eine wichtige Rolle, besonders fragmentierte, perspektivisch raffiniert verschobene. Spielend mit Illusionen, etwa auf einer der für die Dauer der Ausstellung bemalten Wände, um diese suggestiv ins Dreidimensionale kippen zu lassen.