Innsbruck-Land

“Die Weihnachtsgeschichte ist eine Fluchtgeschichte“

Die Sonderschau setzt auf Vielfalt: Ausschnitt aus der Szenenkrippe von Luis Kirchmair sen. mit Figuren von Peter Volgger.
© Domanig

400 Jahre lokaler Krippentradition, aber auch die brennende Aktualität der Herbergssuche prägen eine unkonventionelle Sonderschau in Wattens.

Von Michael Domanig

Wattens –Wie kreativ und vielseitig Tirols Krippenbauszene ist, kann man derzeit landauf, landab in Krippenausstellungen aller Art erleben. Die erste Sonderschau in Tirols jüngstem Museum, dem neuen Museum Wattens, wählt dabei einen unkonventionellen Ansatz: Rund um die Frage „Sagt mir, wo ist Bethlehem?“ rückt der Krippenverein Wattens, der heuer sein 40-Jahr-Jubiläum feiert, die Aktualität der Krippenbotschaft in den Fokus.

Eine Krippe aus Dreizehnlinden von Marianna Thaler, geb. Zimmermann.
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„Bethlehem ist überall“, beantwortet der Künstler Werner F. Richter, der mit seiner Frau Gerlinde für das künstlerische Beiprogramm engagiert wurde, die Frage aus dem Ausstellungstitel. „Die Geschichte der Herbergssuche ist im Kern eine Fluchtgeschichte, wie sie brisanter nicht sein könnte – eine Familie, die nicht mit offenen Armen empfangen wird, sondern in einem Stall landet, bei den Ärmsten.“ Die Geburt Jesu sei eine „Liebesbotschaft“, es gehe um „kollektive Empathie“, das Einfühlen in andere. Doch diese zentrale Aussage der Krippe werde heute oft nicht mehr wahrgenommen, „das Ganze wird als reines Brauchtum abgetan“. Ein Zusatzaspekt sei die „innere Flucht des Menschen in den Konsumwahn und andere Ablenkungen“, gerade zur Weihnachtszeit, in der es eigentlich ums Innehalten ginge. Wie sich zeitgenössische Künstler – von Patricia Karg bis Richter selbst – mit diesen brisanten Fragen auseinandersetzen, ist ein zentraler Teil der Ausstellung.

Der junge Holzbildhauer Michael Egger-Riedmüller aus Fritzens bei der Live-Arbeit im Museum.
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Daneben gibt es einen spannenden Streifzug durch über 400 Jahre Krippengeschichte im mittleren Inntal: Die ältesten ausgestellten Figuren stammen aus der Tulfer Kirchenkrippe – barocke Kleinode aus den Jahren 1608/09. Außergewöhnlich ist auch die „IHS-Gloriole“ von Johann Nepomuk Giner (1756–1833) mit Personifikationen der vier damals bekannten Erdteile – wobei Europa die Gestalt von Maria Theresia hat. Die „Viertl-Krippe“ von Josef Bachlechner aus Hall (1871–1923) wiederum bezaubert mit liebevoll gestalteten Details: So ist Josef mit Kochlöffel beim Rühren im Mus zu sehen. Auch Raritäten wie eine gewaltige Szenenkrippe von Luis Kirchmair sen. oder sogar eine Krippe aus Dreizehnlinden sind zu bestaunen: Letztere stammt von Marianna Thaler aus Fritzens, die einst nach Brasilien auswanderte und dort die Tiroler Tradition fortsetzte.

Die Kinder der 1b NMS Schulzentrum Hall beim Krippen-Workshop.
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„Wir wollen auch die Vielfalt beim Material aufzeigen“, betont Karlheinz Geisler vom Krippenverein Wattens: „Krippen müssen nicht nur aus Holz bestehen.“ Zu sehen sind daher auch Exemplare aus Papier, Keramik, Lehm oder Bronze. Viel Platz räumt man zeitgenössischen Krippen ein: Bei Josef Zeisler aus Axams sind die Weisen, die dem Stern folgen, z. B. ein Manager mit Handy und Laptop, ein Mann aus Ghana und eine indigene Frau aus Peru. Der Bildhauer Manuel Schmid aus Hall hat seine expressive Krippe mit der Kettensäge geschaffen.

Künstler Werner F. Richter vor seinem Werk „Aufbruch“.
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Zentral ist für die Ausstellungsmacher die Jugendarbeit: Jeden Tag finden im Museum Workshops mit Schulen und Kindergärten statt, bei denen die Kinder auch selbst Krippen(berge) bauen. Am Ende werden so über 400 Kinder aktiv an der Schau teilgenommen haben.

Die Sonderausstellung im Museum Wattens läuft noch bis 9. Dezember (Di. bis So. von 10 bis 17 Uhr). Am 4. Dezember um 20 Uhr findet eine Lesung mit Musik von Annemarie Regensburger und Julia Costa statt, bei der Finissage am 9. Dezember (19 Uhr) warten eine Performance des Kunstkollektivs Wildwuchs und eine Diskussion mit Bischof Hermann Glettler. Auch der 103. Landeskrippentag der Tiroler Krippenfreunde – mit vielen Ehrengästen – ging kürzlich in Wattens in Szene.