Brexit

Bei „No Deal“: EU hat Notfallplan zur Kriminalitätsbekämpfung

EU-Justizkommissarin Vera Jourova.
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Bei einem Hard Brexit wäre die Auslieferung von Straftätern erschwert. Die EU will nun einen Notfallplan vorlegen, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Wien – Europäische Straftäter dürfen nicht darauf hoffen, dass Großbritannien bei einem ungeregelten EU-Austritt zu einer möglichen Zufluchtstätte wird. Dies haben EU-Justizkommissarin Vera Jourova und Justizminister Josef Moser (ÖVP) am Freitag in einem gemeinsamen APA-Interview in Wien versichert. Die EU-Kommission werde in ihrem Notfallplan auch den Sicherheitsaspekt berücksichtigen, sagte Jourova.

Bei einem Hard Brexit wäre die Auslieferung von Straftätern erschwert, weil der Europäische Haftbefehl nicht mehr gelten würde. „Ein No Deal wird ein großes Problem sein, aber wir werden einen Notfallplan vorlegen, der die wichtigsten Dinge abdecken wird, einschließlich die grundlegenden Maßnahmen, um Sicherheit zu gewährleisten“, sagte Jourova, die keine Details nennen wollte. Zugleich wies sie darauf hin, dass das Brexit-Abkommen eine „ganz neues Format der Partnerschaft“ zwischen London und den EU-Staaten im Bereich Sicherheit vorsehe. Die Kooperation werde „stark“ sein.

Moser: „Standards aufrechterhalten“

Moser wies darauf hin, dass Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung für beide Seiten „ein gemeinsames Anliegen“ seien. „Es steht außer Streit, (...) dass wir sehr daran interessiert sind, die Standards aufrechtzuerhalten und Kriminellen nicht einen Vorteil zu verschaffen, (weil) der Brexit stattgefunden hat“, sagte der Justizminister. Man werde „keine Maßnahmen setzen, die die Sicherheit in irgendeiner Weise gefährden könnte“.

Moser und Jourova äußerten sich am Rande einer vom EU-Ratsvorsitz veranstalteten Konferenz zur Effizienz im Justizsystem, an der 150 Vertreter von EU-Staaten und Partnerländern wie Aserbaidschan, Armenien, Georgien, Weißrussland, Moldau und Serbien teilnehmen. Gekommen sind auch zahlreiche Höchstgerichtspräsidenten, darunter der Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Koen Lenaerts.

Es sei wichtig, die Justizsysteme in Europa zu stärken, weil sie dies auch gegen politische Angriffe wappne, betonten die EU-Kommissarin und der amtierende EU-Ratsvorsitzende. „Wenn es wenig Vertrauen in das Justizsystem gibt, dann ist es ein leichtes Opfer für politische Angriffe“, sagte Jourova. Der Schutz der Unabhängigkeit sei „keine abstrakte Sache“. Konkret gehe es etwa darum, wie Richter ernannt und dann auch vor einer Absetzung geschützt werden.

Jourova warb um Verständnis für Probleme der Staaten

Jourova dankte der österreichischen Ratspräsidentschaft für den „Dialog“ mit Polen, gegen das wegen der umstrittenen Gesetze zur Richterabsetzung ein EU-Rechtsstaatsverfahren läuft. „Österreich war da sehr erfolgreich“, sagte sie. Zugleich warb sie vor österreichischen Journalisten um Verständnis für die Probleme in den neuen Mitgliedsstaaten. Dort sei das unabhängige Justizsystem in nur drei Jahrzehnten entwickelt worden, während andere EU-Staaten „mehrere Jahrhunderte“ dafür Zeit gehabt hätten, sagte die tschechische Kommissarin. Zugleich warnte sie: „Man kann es (das unabhängige Justizsystem) über Nacht zerstören, mit nur einem Gesetz. Wir möchten nicht, dass das passiert.“ Im Fall Polens habe es „Fortschritte“ gegeben, so Jourova, die weiterhin eine Chance auf eine Einigung mit Polen bezüglich der „Parameter“ für das Justizsystem sieht.

Moser: Justizsystem „Eckpfeiler der Demokratie“

Moser bezeichnete das Justizsystem gegenüber der APA als „Eckpfeiler der Demokratie“. Mit Blick auf lange Verfahrensdauern pochte er darauf, dass die Justiz „die Erwartungen der Bürger“ erfüllt. „Denn nur dadurch sichern wir uns auch die Unabhängigkeit“, so Moser. Diese sei im Fall Österreichs „mehr als gegeben“. Die Justiz agiere unabhängig, „ohne Einflüsse von außen“, sagte Moser. Jourova betonte, dass Österreich bei der Effizienz des Justizsystems „nicht zu den schlechten Ländern“ innerhalb der EU zähle. Moser verwies auf Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung wie die jüngst beschlossene Möglichkeit, eine Einstellung von langen Ermittlungsverfahren anzuordnen.

Zur umstrittenen Indexierung der Familienbeihilfe, bei der Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische Union droht, sagte Moser, es gebe bei Beschlüssen „immer Bedenken, ob das den Rahmen oder allenfalls die rote Linie übersteigt“. Es gebe „Gutachten in jede Richtung“. Deshalb sei es gut, dass in letzter Konsequenz Gerichte Recht sprächen. „Ich bin froh, dass wir in Österreich den Zustand haben, dass die Justiz außer Streit steht“, fügte er hinzu.

„Als ich in die EU-Kommission gekommen bin, war ich überrascht, als ich gesehen habe, wie viele Gesetze der Mitgliedsstaaten nicht (dem EU-Recht) entsprechen“, sagte Jourova. Die EU-Kommission agiere als Hüterin der Verträge in jedem Fall gleich, „und wir nutzen unser Werkzeug, das unpopulär ist“, sagte sie mit Blick auf das Vertragsverletzungsverfahren. Sie sei immer für einen Dialog für dem Mitgliedsstaat, aber manche Fälle seien „so klar, dass wir das Verfahren sofort starten müssen“, so Jourova, die sich nicht dazu äußern wollte, ob sie auch die österreichische Familienbeihilfen-Kürzung für in ärmeren Ländern lebende Kinder als solche ansieht. (APA)