Weltpolitik

In Ruanda ruht die Vergangenheit

Einmal im Monat ist Umuganda – die Menschen räumen auf und helfen sich gegenseitig.
© AFP

Das ostafrikanische Land hat seit dem Bürgerkrieg vor 25 Jahren beachtliche Fortschritte erzielt. Im Jahr 2005 galten noch 57 Prozent der Bevölkerung als arm, 2014 sind es 39 Prozent. Trotzdem gibt es viel Aufholbedarf.

Von Serdar Sahin

Kigali –An jedem letzten Samstag im Monat wird aufgeräumt in Ruanda. Männer und Frauen mit Lautsprechern ziehen durch die Straßen und rufen alle zum Mitmachen auf. „Umuganda“ nennt sich das, was auf Kinyarwanda frei übersetzt „Zusammenkommen und sich gegenseitig helfen“ bedeutet.

Die Straßen werden geputzt, man geht den Nachbarn zur Hand – beim Bau des Eigenheims oder beim Bestellen des Feldes, wenn sie das aufgrund von Krankheit oder Alter selbst nicht schaffen. Es geht darum, die Menschen im Land zusammenzubringen. Denn so friedvoll wie derzeit war es nicht immer.

Vor 25 Jahren wütete ein grausamer Bürgerkrieg in dem ostafrikanischen Land. Radikale Hutu ermordeten innerhalb weniger Monate mehr als 800.000 Tutsi und moderate Hutu. Der Tutsi Paul Kagame beendete 1994 den Völkermord an seiner Volksgruppe mit seiner Rebellen-Armee. Zunächst als Verteidigungsminister und seit 2000 als Präsident führt er das Land mit eiserner Faust.

Umuganda ist die kollektive Aufarbeitung dieser Gräuel. So versuchen Tutsi und Hutu ihr­e Vergangenheit aufzuarbeiten. Oberflächlich betrachtet, scheint dies zu gelingen. Kigali gilt als sauberste Hauptstadt Afrikas. Plastiksackerln sind seit Jahren verboten, an den Straßenrändern häuft sich kein Müll, so wie das in anderen afrikanischen Städten zu beobachten ist. Neben dem offensichtlichen Müll geht es auch um die Verarbeitung des dunklen Kapitels des Landes.

In der ruandischen Hauptstadt hat 2004 das Kigali Genocide Memorial seine Tore geöffnet. Die Gedenkstätte beherbergt die Überreste von über 250.000 Opfern.

Ungeachtet der Vergangenheit konnte Ruanda ökonomisch beachtliche Fortschritte erzielen. Die ruandische Wirtschaft wächst seit 20 Jahren um jährlich jeweils sieben Prozent. Die Inflationsrate lag im vergangenen Jahr bei 4,8 Prozent. Ruanda zählt zu den unternehmerfreundlichsten Ländern weltweit – und ist deshalb beliebt unter ausländischen Investoren. Das Korruptionsniveau ist relativ niedrig. Laut dem jährlichen Ranking von Transparency International belegt Ruanda derzeit Platz 48 von 180 Staaten. In Afrika sind nur zwei Länder besser gereiht.

Unter Kagame ist die Armutsrate von 57 Prozent im Jahr 2006 auf 39 Prozent (2014) gesunken. Das Internet funktioniert zumindest in der Hauptstadt reibungslos. Das liegt auch daran, dass über 4500 Kilometer Glasfaserkabel das „Land der Hügel“ durchziehen.

Trotzdem hat Ruanda viel aufzuholen. Die Hauptstadt mit über einer Million Einwohnern ist das einzige Ballungszentrum. Der Rest lebt auf dem Land. Dort haben viele Menschen keinen Wasseranschluss, mancherorts herrscht Hunger. Nur rund jeder Fünfte hat Zugang zur Stromversorgung. Die Gesellschaft ist landwirtschaftlich geprägt. Kagame, der derzeit Vorsitzender der Afrikanischen Union ist, will das ändern. Auch deshalb wird er beim heutigen EU-Afrika-Forum in Wien zugegen sein. Rund 800 Unternehmen und hochrangige Vertreter aus beiden Kontinenten wollen die wirtschaftliche Kooperation verbessern.

Trotz der positiven Entwicklung hat Ruanda bei den Menschenrechten noch viel Luft nach oben. „Reporter ohn­e Grenzen“ zählt Kagame zu den weltweit „schlimmsten Feinden der Pressefreiheit“.

Die Gedenkstätte in Kigali beherbergt die Überreste von mehr als 250.000 Opfern des Genozids.
© APA