Wiener Staatsoperndirektor Dominique Meyer: „Ich bereue nichts“ 1

Wien (APA) - Dominique Meyer blickt auf ein erfolgreiches Jahr als Direktor der Wiener Staatsoper zurück, wo man mit den Zahlen der laufende...

Wien (APA) - Dominique Meyer blickt auf ein erfolgreiches Jahr als Direktor der Wiener Staatsoper zurück, wo man mit den Zahlen der laufenden Saison über Plan liegt und mit Johannes Maria Stauds „Die Weiden“ am 8. Dezember die erste Uraufführung seit acht Jahren absolvierte. Mit 2019 stehen nun zugleich die Jubiläumsfeierlichkeiten am Haus wie der Beginn von Meyers Abschiedssaison an.

Zum Jahreswechsel sprach der 63-Jährige Opernchef mit der APA darüber, dass er seine Amtszeit vielleicht zu pädagogisch durchdacht hatte, weitere Karrierepläne und über die Frage, weshalb er allen Uraufführungen ein Fiasko wie dem „Barbier von Sevilla“ wünscht.

APA: Sie haben zum Jahresende mit „Die Weiden“ Ihre erste Uraufführung im Haupthaus vorgelegt. War das für Sie als Direktor auch eine andere Erfahrung?

Dominique Meyer: Eine Uraufführung ist für einen Direktor einfach interessant: Das Stück kommt erst wirklich zum Leben bei der Orchesterprobe und man nimmt gemeinsam mit Komponist und Regisseur bis zum Ende Änderungen vor. Wenn man ein Repertoirestück spielt, kennt man ja das Stück und hat bereits eine Vorstellung. Hier nicht. Und die Hierarchie in der Vorbereitung ist eine andere. Normalerweise sind die Regisseure die Könige, während die Komponisten kein Mitspracherecht haben, weil sie tot sind. Das war in diesem Falle anders.

APA: Woher rühren die Schwierigkeiten, die viele Zuschauer dennoch mit der zeitgenössischen Musik haben?

Meyer: Die Musik ist so komplex, dass man die Struktur erst wirklich durchschaut, wenn man das Stück mehrmals gesehen hat. Das ist das Defizit bei jeder Uraufführung, weil Zuschauer das natürlich meist nicht können. Ich erinnere mich aber noch daran, als ich das erste Mal die „Eroica“ gehört habe - und das Werk praktisch überhaupt nicht verstand. Auch wenn man ein Bild von Nicolas Poussin für 15 Sekunden sähe, könnte man nichts erfassen.

APA: „Die Weiden“ sind ein gesellschaftspolitischer, beinahe tagesaktueller Kommentar. Minimiert das die Chancen, ein Repertoirewerk zu werden?

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Meyer: Das sehe ich anders. Sonst würde man zwei Drittel der Verdi-Opern in den Mistkübel werfen. Ich glaube, dass die Themen der „Weiden“ auch in 20 oder 30 Jahren noch aktuell sind. Ob es ein Repertoirestück wird, kann man aber schwer prognostizieren.

APA: Ist diese Frage für Sie überhaupt von Relevanz?

Meyer: Besser wäre es natürlich, nach all der Arbeit, die in so ein Werk fließt. Man darf nicht vergessen, dass die Bezeichnung „Fiasko“ mit dem Misserfolg der Uraufführung des „Barbier von Sevilla“ geprägt wurde. Heute gehört es zu den meistgespielten Werken. Solch ein „Fiasko“ kann man also jedem neuen Stück wünschen.

APA: Angesichts der Aufnahme der „Weiden“: Ärgern Sie sich nun, nicht früher eine Uraufführung in ihrer Amtszeit angesetzt zu haben?

Meyer: Man kann nicht auf Knopfdruck Uraufführungen vorlegen. Ich habe ja vier Auftragswerke initiiert, und letztlich werden davon zwei gespielt werden. Es dauert einfach - und wenn Sie ein Notenblatt der „Weiden“ sehen, wissen Sie warum. Aber ich bereue nichts. Mein Traum wäre gewesen, in jeder Spielzeit eine Uraufführung zu haben. Aber zwischen Traum und Realität klafft manchmal eine Lücke. Sicher hängt einem dann ein Image an, aber so einfach funktioniert das Leben nicht. Ich bin der Erste, der enttäuscht ist, wenn es ein Projekt nicht auf die Bühne schafft. Aber das muss man akzeptieren. Ich bin ein Praktiker. Mein Zugang war, dass ich zunächst wichtige Stücke des frühen 20. Jahrhunderts wie „Mahagonny“, „Cardillac“ oder Janacek erstmals am Haus zeigen und darauf dann aufbauen wollte. Aber das war zu pädagogisch gedacht. Das war vielleicht ein Fehler.

APA: Ein weiteres Vorhaben war die Stärkung des Ensembles. Ist das in Ihren Augen gelungen?

Meyer: Da bin ich vollends glücklich. Vielleicht habe ich auch da anfangs falsche Erwartungen geweckt, denn auch ein Ensembleaufbau braucht Zeit. Ich höre mir im Jahr 900 Sänger an - und davon hole ich vielleicht zwei ans Haus! Aber dass wir „Dantons Tod“, „Les Troyens“ oder „Die Weiden“ primär aus dem Ensemble besetzen können, ist ein Zeichen für die Stärke des Hauses, die von Chen Reiss über Aida Garifullina bis Olga Bezsmertna reicht.

APA: Massiv ausgebaut wurde in den vergangenen Jahren zudem die Übertragung von Aufführungen der Staatsoper. Verändern sich durch Stilmittel wie Nahaufnahmen auch die Inszenierungen?

Meyer: Wir wollen die Übertragung so neutral wie möglich halten, damit der Zuschauer am Bildschirm einen ähnlichen Eindruck wie derjenige im Haus hat. Aber es gibt eine Änderung, die mir sehr recht ist: Man sieht alles! Deshalb muss man bei Kostüm, Maske und Bühnenbild viel vorsichtiger sein. Dadurch ist die ganze Mannschaft aufmerksamer (lacht). Ein weiterer Vorteil ist, dass die Inszenierungen besser dokumentiert sind, was uns bei Wiederaufnahmen hilft.

(B I L D A V I S O - Zuletzt wurden Fotos von Dominique Meyer am 2. November 2018 über den AOM verbreitet.)