Literatur

Tierisch originell: Autorin Teresa Präauer im TT-Interview

Teresa Präauer, Jahrgang 1979, wurde für ihren ersten Roman „Herrscher aus Übersee“ (2012) mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet, 2017 erhielt sie den Erich-Fried-Preis.
© Thomas Langdon

Die mehrfach ausgezeichnete österreichische Schriftstellerin Teresa Präauer beschäftigt sich in ihrem neuen Buch „Tier werden“ mit dem Prozess der Um- und Verwandlung.

Innsbruck – Vögel, Fische, Affen: In allen drei bisher erschienenen Romanen der österreichischen Schriftstellerin Teresa Präauer sind nicht nur Menschen, sondern auch Tiere allgegenwärtig. In ihrem neuen Buch „Tier werden“ (Wallstein), das derzeit auch auf der SWR-Bestenliste zu finden ist, reflektiert Präauer über die unscharfe Grenze zwischen Mensch und Tier.

In allen drei Romanen, die Sie geschrieben haben, spielen Tiere eine Rolle. Woher kommt diese Faszination?

Teresa Präauer: Mich interessieren literarische und künstlerische Motive und Topoi, und ich habe versucht, den Mischwesen, den Verwandlungen und der Naturwissenschaft mit den lange integrierten Fabelwesen auf die Spur zu kommen.

Wie ist Ihr neuer Essayband „Tier werden“ entstanden?

Präauer: Die Harpyie, ein Mischwesen mit Menschenkopf und Vogelkörper, hat mein Interesse geweckt. Ich habe sie in einem frühen naturkundlichen Lexikon des Kupferstechers Merian gefunden. Also habe ich mich auf die Suche nach ihren Vorbildern begeben, mich gefragt, warum diese fantastischen Wesen mitten in die zoologische Nomenklatur gerutscht sind.

Was ist mit dem Buchtitel „Tier werden“ genau gemeint?

Präauer: Für mich sind beide Begriffe im Titel, also „Tier“ und „werden“, gleich wichtig für den Text. Es geht einerseits um Tiere in der Naturwissenschaft, Kunst, Literatur, Mode und im Film, aber viel mehr noch um Mischwesen, also Kombinationen aus verschiedenen Tieren oder Tier-Mensch-Mischwesen. Deswegen ist das „Werden“ auch ganz stark im Titel: Es geht in diesem Buch um den flexiblen Prozess der Um- und Verwandlung, weniger um einen Endzustand. „Tier werden“ verhandelt die Gemeinsamkeiten, Übergänge und Blicke zwischen Mensch und Tier, um das Tier als Repräsentanten – auch für eine Weltanschauung, die sich über die Jahrhunderte hinweg verändert.

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Mit welchen Quellen haben Sie sich beschäftigt?

Präauer: Es waren vor allem Bücher und Sammlungen von Drucken, auch Masken und Verkleidungen wie die der Perchten. Von diesen Bildern ausgehend habe ich in Bibliotheken und Museen recherchiert. Die menschliche Vorstellung vom Tierreich sagt viel über das Weltbild einer Epoche aus. Aber wohl immer bestand die Frage, wie sich der Mensch vom Tier unterscheide – und ob er sich überhaupt unterscheidet. Sieht man den Menschen in der Biologie auf Augenhöhe mit dem Tier, dann bereitet das der Theologie und manchmal auch der Philosophie Probleme. Gibt es tatsächlich essentielle Unterschiede? Das ist das Fragezeichen, das am Ende des Textes in diesem Buch stehen könnte.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Präauer: Für mich war es interessant, zu sehen, inwiefern diese Mischwesen anfänglich noch Teil der Biologie waren und dann später wieder daraus verschwinden. Mit Linné wurden die Tiere dann auch so geordnet, dass es kaum noch Lücken gab. Wo Lücken waren, wurden bis ins 18. Jahrhundert „Monster“ eingebaut, Zwischenwesen zwischen Mensch, Tier und Pflanze, wie die Alraunwurzel, die angeblich jämmerlich schreit, wenn man sie aus der Erde zieht. Das Fiktive war lange Zeit ein regulärer Bestandteil der Naturkunde.

Sie thematisieren in Ihrem Essay den „schmalen Abgrund“ zwischen Mensch und Tier, von dem John Berger in einem berühmten Aufsatz schreibt.

Präauer: Bei den „Human-Animal Studies“ spielt das Einander-Anblicken eine entscheidende Rolle. Ich beschäftige mich auch mit dieser Frage, ob es zwischen Mensch und Tier einen Blickwechsel gibt, der zu einem gegenseitigen „Erkennen“ führen könnte. Es gibt eine Szene in einem Essay des französischen Philosophen Jacques Derrida, der darüber schreibt, wie er, nackt im Badezimmer, seiner Katze begegnet und sich plötzlich vor ihr schämt. Diese Szene ist amüsant, aber sie zeigt auch, dass er den Blick der Katze versuchsweise ernst nimmt, über ein womöglich gegenseitiges Erkennen nachdenkt. Trotzdem bleibt da so etwas wie ein Abgrund zwischen Mensch und Tier, weil die Katze letztlich eine andere Spezies bleibt, die eine andere Sprache spricht, wenn sie überhaupt eine „Sprache“ in unserem Sinne spricht.

In welches Tier würden Sie sich gerne verwandeln?

Präauer: Nachdem auch der Mensch selbst ein Tier ist, ist das gar nicht mehr nötig. Mich interessiert das Thema der Verwandlung, und es geht mir auch um einen poetologischen Gedanken: In dem Augenblick, in dem wir ein Buch öffnen und zu lesen beginnen, findet eine Verwandlung in Gedanken statt. Lesen verwandelt insofern, als wir bereit sind, Teil der Erfindung zu werden, uns während des Lesens aufzugeben, indem wir uns mit den Figuren oder dem Sprachduktus identifizieren.

Sie sind nicht nur Schriftstellerin, sondern auch bildende Künstlerin. Wie sehen Sie das Wechselspiel zwischen bildender Kunst und schriftstellerischer Arbeit?

Präauer: Neuerdings gehe ich lieber ins Museum und schreibe über bildende Kunst.

Das Interview führte Gerlinde Tamerl

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