Architektur in der Stadt: „Fußläufigkeit muss zum Maß werden“
Dietmar Eberle, Architekturprofessor an der Zürcher ETH, macht sich in seinem Masterplan für das Innsbrucker DEZ-Areal Gedanken, wie verloren gegangene Qualitäten von Stadt zurückerobert werden könnten.
Die weltweite Verstädterung hat längst auch Tirol erreicht. Welche Probleme bringt das mit sich?
Dietmar Eberle: Der Trend, dass immer mehr Menschen in Städten leben wollen, ist ein Phänomen, das unzählige Fragen sozialer, ökonomischer und ökologischer Art aufwirft. Unter anderem auch die der Unternutzung bestimmter entlegener ländlicher Gegenden. Was genauso diskutiert gehörte wie das Boomen der Städte.
Sie haben dieses Problem der Entvölkerung untersucht. Mit welchem Ergebnis?
Eberle: Neben durchaus positiven ökologischen Veränderungen führt die Landflucht zu einem drastischen Sinken der Immobilienpreise außerhalb der Ballungszentren, was nur zu einem Teil durch den Zweitwohnungsmarkt kompensiert werden kann. Andererseits explodieren in den Städten die Immobilienpreise, was großen sozialen Sprengstoff birgt.
Aber warum wollen trotz aller Nachteile alle in der Stadt wohnen?
Eberle: Das hat in erster Linie mit dem grundlegenden Wandel der Gesellschaft und der Familienstrukturen zu tun. Es gibt immer mehr Singles und Kleinfamilien, die in den Städten die ihnen entsprechenden Infrastrukturen und natürlich auch diverse Arbeitsplätze finden. Für Innsbruck habe ich nicht die Zahlen, aber in Zürich lebt etwa in der Hälfte aller Wohnungen nur eine Person, nur in elf Prozent wohnen größere Familien.
Aber glauben Sie nicht, dass sich die meisten Familien die Mieten schlicht und einfach nicht leisten können?
Eberle: Der Aufwand, der heute für das Wohnen aufgewendet werden muss, ist eindeutig viel höher als früher.
Warum ist das so?
Eberle: Dafür gibt es meiner Meinung nach drei Gründe. Der wichtigste Faktor für die Kostenexplosion ist die gängige Bodenpolitik. Zweiter Kostentreiber sind die jährlich mehr werdenden Vorschriften und Normen im Zusammenhang mit dem Bauen bzw. die Erwartungen, die heute an den Standard einer Wohnung gestellt werden. Diese ist heute im Gegensatz zu den 1960er-Jahren ein komplett anderes Produkt.
Wie könnte man Ihrer Meinung nach diese Problematik in den Griff kriegen?
Eberle: Die Politik im Umgang mit Grund und Boden genauso wie die Richtlinien der Wohnbauförderung müssen endlich den Erfordernissen der Zeit angepasst werden.
Was halten Sie von der Idee, das Horten von größeren Grundstücken zu verhindern, um jedenfalls einen gewissen Teil von diesen für den sozialen Wohnbau zu verwenden?
Eberle: Das wäre für mich der absolut richtige Weg, damit entstünden ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten. Ich bin allerdings pessimistisch, dass das in unserer Gesellschaft in absehbarer Zeit auch durchgesetzt werden kann.
Sie haben für das Innsbrucker DEZ-Areal einen Masterplan entwickelt. Können Sie da schon etwas verraten?
Eberle: Da geht es nicht zuletzt um ganz grundsätzliche Fragen der Stadt. Um die Untersuchung, in welchen Teilen die größte Landnutzung stattfindet. Mit der Erkenntnis, dass, je weiter das 20. Jahrhundert fortgeschritten ist, die Bebauungsdichten kontinuierlich sinken. Die dezentrale Siedlung ersetzt zunehmend die Stadt, obwohl die Siedlung im 19. eigentlich das erklärte Feindbild des Urbanen war. Machen den Reiz von Städten doch nicht die von den 1960er-bis 80er-Jahren aus dem Boden gestampften Quartiere, sondern die atmosphärisch dichten Altstädte aus. Wird wohl fast jeder eine Wohnung im Stadtzentrum bzw. eine gründerzeitliche Altbauwohnung einer 08/15-Wohnung am Stadtrand vorziehen. Daran sollten wir beim Planen neuer Quartiere denken.
Wie lassen sich diese letztlich antiurbanen Entwicklungen korrigieren?
Eberle: Es geht um Bemühungen, städtische Strukturen und Funktionen neu als attraktive Orte zum Leben und Arbeiten zu durchmischen, etwa am derzeit monofunktional als Einkaufszentrum genutzten DEZ-Areal. Was nicht nur Lebensqualität bringen, sondern auch die großen Fragen der individuellen Mobilität lösen würde. Die Fußläufigkeit muss im Alltag wieder zum Maß werden und das geht nur durch Dichte. Einkaufszentren auf der grünen Wiese basieren auf Konzepten aus den 1960er-Jahren, als man noch stolz darauf war, ein Stück Autobahn zu eröffnen.
Sehen Sie Chancen, dass die Überlegungen bezüglich des DEZ-Areals in absehbarer Zeit auch umgesetzt werden?
Eberle: Da in Innsbruck Bauland bekanntlich extrem knapp ist, gibt es zu einer inneren Verdichtung, wie sie im Mittelalter gang und gäbe war, praktisch keine Alternative. Die Bereitschaft, darüber ernsthaft nachzudenken, orte ich jedenfalls von allen Seiten. Doch wie schnell das geht, kann ich nicht sagen.
Welche Rolle spielt bei Ihren Überlegungen der Architekt?
Eberle: Über urbane atmosphärische Qualitäten nachzudenken, haben die meisten Architekten an ihren Ausbildungsstätten leider nicht gelernt. Und es ist ein politisch-ökonomisches Phänomen, dass die Architekten in der Entscheidungsfindung immer unbedeutender werden. Dass vieles des neu Gebauten heute so ausschaut, wie es ausschaut, hat letztlich mit den kulturellen Vorstellungen der Entscheidungsträger, also den Politikern und Projektentwicklern, zu tun. Und das sind in der Regel nicht die Architekten. So einfach ist das.
Zur Person
Dietmar Eberle: 1952 in Hittisau geboren, Studium der Architektur an der Technischen Universität Wien. Einer der Mitbegründer der „Vorarlberger Baukünstler“, 1985 Gründung des Architekturbüros Baumschlager Eberle, das er seit 2010 ohne Carlo Baumschlager betreibt. Seit 1999 Professor für Architektur und Entwurf an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Mehr als 300 realisierte Bauten in aller Welt. Im Auftrag der Grundeigentümer und großen Betriebe hat Dietmar Eberle im Einvernehmen mit der Innsbrucker Stadtplanung einen Masterplan bezüglich der Zukunft des DEZ-Areals erarbeitet.
Daran können offensichtlich die zahllosen Beiräte auch nichts ändern.
Eberle: Ich halte die Installation von Beiräten für Alibiaktionen der Politik, um ihre Verantwortung abzuschieben. Beiräte lösen die aktuellen Probleme jedenfalls sicher nicht.
Tirol ist sehr stolz auf seine Wettbewerbskultur. Halten Sie Wettbewerbe auch für den besten Weg, um das architektonisch jeweils beste Projekt durchzusetzen?
Eberle: Ich stehe Wettbewerben generell eher kritisch gegenüber. Die Architektenkammer stünde hier in der Pflicht, differenzierteren Verfahrungen im Gegensatz zu offenen Wettbewerben endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Stellen sich logischerweise für unterschiedliche Bauaufgaben doch komplett unterschiedliche Fragen.
Das Gespräch führte Edith Schlocker