Gesellschaft

Hass-Postings: Ältere im Umgang mit Facebook oft ahnungslos

(Oft zu) schnell ist ein strafrechtlich relevanter Kommentar getippt oder weitergeleitet.
© TT/Rottensteiner

„Dialog statt Hass“ nennt sich ein Projekt von Justiz und Neustart. 73 Hasspostern wurde 2018 Medienkompetenz und Rechtliches gelehrt.

Von Reinhard Fellner

Innsbruck, Wien –Soziale Medien wie Facebook und Co. haben quer durch die Gesellschaft eine Seuche der Neuzeit verbreitet: Hass, Verachtung, Hetze und Hohn in Wort und Bild haben ein digitales Podium gefunden. Was da gepostet oder mit „Freunden“ geteilt wird, überschreitet nicht nur schnell die Grenze guten Geschmacks, sondern auch der Meinungsfreiheit. Nicht umsonst muss die Justiz immer mehr Strafverfahren wegen Verhetzung, übler Nachrede oder Kreditschädigung führen. Die Zahlen steigen nicht nur im Sprengel der Innsbrucker Oberstaatsanwaltschaft immer weiter an. Mehr noch als die Sanktionierung erschien da Bewusstseinsbildung als Gebot der Stunde.

„Dialog statt Hass“ nannte sich deshalb 2018 ein Pilotprojekt von der Justiz und der Bewährungshilfe „Neustart“. Per richterlicher Weisung wurden Verurteilte oder mit Diversion Belegte für Monate einem Kursprogramm zugeführt.

Das Ergebnis sprach für sich. 73 dieser Personen nahmen bundesweit am Programm teil, zehn Personen waren letztes Jahr Neustart Tirol zugewiesen. Neustart-Tirol-Leiterin Kristin Henning zur TT: „Es ist wichtig, das Phänomen Hass im Netz ernst zu nehmen und zu reagieren, um weitere Spaltungen oder gar Gewalteskalationen zu verhindern. Es wurde daher ein Programm entwickelt, das bewusstseinsbildend wirkt und sich mit den Ursachen für das Verhalten auseinandersetzt und so Rückfälle vermeiden hilft.“

Henning: „Oft hörten wir ‚Ich hätte nicht gedacht, dass das strafbar ist‘. Viele Betroffene sind überrascht, dass ihre Aussagen strafrechtlich relevant sind, daher ist es auch so wichtig, das Gesetz zu erklären. Wir nennen dies Normverdeutlichung. Es ist auch notwendig, zu betonen, dass es nicht darum geht, die freie Meinungsäußerung einzuschränken. Wichtig ist jedoch, seine Meinung zu äußern, ohne zu diskriminieren, zu Gewalt aufzurufen oder dergleichen.“

Zu den Neustart-Dialog-­Modulen gehören neben der Normverdeutlichung auch Deliktverarbeitung zur Vermeidung neuerlicher Straftaten, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung, Erarbeitung alternativer Möglichkeiten der Meinungsäußerung und vor allem Vermittlung von Medienkompetenz in sozialen Medien.

Henning: „Leute, die auf Facebook oder auf anderen Plattformen aktiv sind, wissen oft nicht Bescheid, wie diese Medien im Hintergrund mit ihren Algorithmen funktionieren. Manchen ist auch gar nicht bewusst, wie viele Personen ihre Kommentare lesen können. Man sitzt alleine vor dem PC und vergisst in gewisser Weise, dass der eigene Kommentar von Hunderten oder gar Tausenden gelesen werden kann.“

Da die Zahl der Verhetzungsverurteilungen bundesweit von 2014 in drei Jahren von 30 auf 135 angestiegen war, wird das Dialog-Projekt von den Bundesländern Tirol und Wien sowie den Städten Linz und Graz aus bis spätestens 2020 auf alle Bundesländer ausgeweitet.

TT-ePaper jetzt 1 Monat um € 1,- lesen

Die Zeitung jederzeit digital abrufen, bereits ab 23 Uhr des Vortags.

Interessant sind die Erkenntnisse aus dem Modellprojekt 2018. Hier verteilten sich die Teilnehmer über das ganze Bevölkerungsspektrum vom Systemverlierer bis hin zur wirtschaftlich erfolgreichen, gutbürgerlichen Existenz.

Die Neustart-Leiterin: „Anders als vielleicht vermutet sind die Teilnehmer keine Jugendlichen oder junge Erwachsene. In Tirol waren nur zwei von ihnen unter 40 Jahren. Die meisten waren zwischen 40 und 60 Jahre alt (sechs Personen). Und nur eine der zugewiesenen Personen war übrigens vorbestraft. In Tirol wurden vier Frauen und fünf Männer zugewiesen (österreichweit waren es aber nur 28 Prozent Frauen).“

Die Teilnehmer unterscheiden sich somit durchaus von den „klassischen Fällen“ in der Bewährungshilfe (Alter, Geschlecht, Vorstrafen). Österreichweit stammten ca. die Hälfte der Fälle aus Landeshauptstädten. Der Rest kam aus kleineren Städten und Orten.

Alle Zugewiesenen in Tirol waren übrigens österreichische Staatsbürger. Die meisten Straftaten passierten auf Facebook und richteten sich meist gegen Flüchtlinge (österreichweit 50 Prozent) sowie gegen Muslime (15 Prozent).

Verwandte Themen