Schlüsseldienst-Wucher: Erste Verurteilung in Tirol
Bis 1196 Euro Stundenlohn: Ein Sachwucher an der Betrugsgrenze endete für einen deutschen „Schlossengel“ mit Geldstrafe und Schadenersatz an Geprellte.
Von Reinhard Fellner
Innsbruck –Von Deutschland aus machte sich auf dem Gebiet der Schlüsselnotdienste eine Geschäftsmasche breit, die nahe an der Betrugsgrenze liegt. So hatten sich Organisationen unverdächtig klingende Schlüsseldienstnamen mit jeweiligen Ortsnamen gesichert und diese bei Web-Suchmaschinen ganz vorne reihen lassen. Was für Ausgesperrte nach örtlichem Schlüsseldienst klang, war in Wahrheit dann aber ein Call-Center, das Subunternehmer aus Deutschland zu den jeweiligen Adressen lotste. Kein Wunder, dass die Helfer dann anstatt in versprochenen 30Minuten erst nach vier Stunden vor der verschlossenen Türe eintrafen. Zum Notdienst reihte sich anschließend meist strafrechtlich relevanter Sachwucher. Nachdem die AK Tirol bereits letztes Jahr vor bestimmten Anbietern wie „schlossengel.at“ gewarnt hatte, beschäftigt sich das Innsbrucker Landesgericht derzeit mit 15 derartigen Fällen – 200 Prozesse laufen in ganz Österreich.
Erstmals in Tirol (ein weiterer Prozess folgt bereits morgen) war nun gestern ein 26-jähriger Deutscher wegen Sachwuchers angeklagt. Die Ausführungen vor Richter Norbert Hofer sprachen Bände. So relativierte ein errechneter Stundensatz von 1196(!) Euro auch die Einkünfte eines so manchen Primars oder Rechtsanwalts. Von den immer in bar einkassierten Rechnungsbeträgen müssen die Schlüsseldienst-Handlanger jedoch gleich wieder 70 Prozent an die vermittelnde Organisation abliefern. Details auf Rechnungen wie ein „fallspezifischer Einsatzwert“ für zusätzlich 199 Euro konnten vom aus Deutschland angereisten „Schlossengel“ gestern ohnehin nicht auch nur ansatzweise erklärt werden.
Der nun angeklagte Engel sorgte beispielsweise bei einer Oberländer Familie im Februar für ein böses Erwachen. Mit drei kleinen Kindern hatte sich eine Mutter in eisiger Kälte ausgesperrt und in ihrer Verzweiflung den erstbesten Notdienst gewählt. Anstatt in einer halben Stunde war der 26-Jährige erst Stunden später erschienen. Er tauschte das Sicherheitsschloss (mit innen steckendem Schlüssel) darauf gegen ein Schloss zum Schätzwert von zehn Euro aus und stellte der Frau ohne nähere Aufklärung letztendlich eine Gesamtrechnung über 937,36 Euro. Bezahlung: natürlich nur in bar. „Ich war mit den Kindern in einer Zwangslage und musste angesichts des Rechnungsbetrages weinen“, beschrieb die Geschädigte als Zeugin. Weitere Fälle ließen tief blicken. So hatte der Deutsche einer älteren Dame für das Öffnen einer Türe – Arbeitsdauer sieben Minuten – schlanke 497 Euro verrechnet. Eine weitere Dame musste 523 Euro abliefern, obwohl der „Helfer“ eigentlich nur das Schloss ruiniert, aber nicht getauscht hatte. Dieser Fall konnte dem Angeklagten nicht zugerechnet werden.
Der Wucher wurde mit zur Hälfte bedingten 1200 Euro bestraft – rechtskräftig. Der Oberländer Familie wurden 700 Euro Schadenersatz zugesprochen – Erhalt ungewiss.