Minister Faßmann: „Keine Feindbilder konstruieren“
ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann über den Stil der FPÖ – und warum er noch heuer an der AHS-Oberstufe mit Ethikunterricht starten und dieses Fach langfristig bis hinunter zu Volksschulen will.
Wiens FPÖ-Vizebürgermeister Dominik Nepp fordert in „Brennpunktschulen Personenkontrollen gewalttätiger Schüler“. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Heinz Faßmann: In diesen Schulen brennt nichts. Das sind Schulen mit möglicherweise besonderen Herausforderungen wegen der Schülerpopulation. Der Begriff Brennpunktschule wird von mir nicht gebraucht, weil er auch eine selbstverstärkende Wirkung hat. Welche Eltern wollen ihre Kinder in Brennpunktschulen schicken? Wenn man mit dem Finger auf bestimmte Schulen zeigt, hat man das, was man nicht möchte: eine soziale und ethnische Entmischung auf der einen und spezifische Konzentration auf der anderen Seite.
Wie nennen Sie diese Schulen?
Faßmann: Schulen mit besonderen Herausforderungen.
Was halten Sie aber vom Vorschlag Nepps?
Faßmann: Nicht viel. Nepp hat kürzlich auch „Erziehungscamps für gewalttätige Problemschüler“ gefordert. Davon bin ich auch nicht überzeugt. Und es gibt viele offene Fragen. Wo sind diese Camps, wie lange sind diese Camps aufrechtzuerhalten, was passiert in diesen Camps?
Angesichts der Forderungen Nepps glaubt man, dass es arge Probleme in Schulen gibt. Ist die Situation wirklich so schlimm?
Faßmann: Gewalt kommt in Schulen immer wieder vor und ist immer vorgekommen. Ich vermute aber eine Zunahme der psychischen Gewalt, die über soziale Medien transportiert wird. In den sozialen Medien kann es wegen der Anonymität und der schnellen Verbreitung einer unüberlegten Meldung schnell zu psychischer Gewaltanwendung kommen. Ein kompromittierendes Foto auf Facebook gepostet und dann popularisiert, kann zu Stigmatisierung von Schülern führen. Klar ist, dass man das thematisieren, aufarbeiten und Gewaltprävention machen muss.
Würde auch Ethikunterricht helfen, den es derzeit nur als Schulversuch gibt?
Faßmann: Absolut. Gerade in einer auch religionspluralistischen Gesellschaft sollte man so etwas wie ein gemeinsames Fundament schaffen – ethisch richtigen Verhaltens. Und zu diesem Fundament gehört sicherlich, dass Gewaltanwendung als Mittel der Durchsetzung persönlicher Interessen ungeeignet ist. Ethik aus dem Schulversuch herauszuholen und als systematisches Fach zu platzieren, ist eine Intention unseres Hauses.
In welchen Schulstufen sollte es Ethikunterricht geben?
Faßmann: Ein guter Einstieg wäre in der Sekundarstufe 2, also in der AHS-Oberstufe. Von dort sollte es über die Sekundarstufe 1 schrittweise hinuntergehen, letztlich bis in die Volksschule.
Sollten Ethik Religionslehrer unterrichten, die dafür geschult werden?
Faßmann: In erster Linie Religionslehrer mit einer Zusatzausbildung, es könnten aber auch andere Lehrer mit einer Zusatzausbildung unterrichten, etwa ein Geografielehrer, der insbesondere Aspekte wie „gerechte Welt“ und „globale Verantwortung“ einbringen würde.
Ab wann soll es den Ethikunterricht geben?
Faßmann: Eingestiegen werden sollte in diesem Schuljahr.
Befürchten Sie Widerstand aus der eigenen Partei oder vom Koalitionspartner?
Faßmann: Mir fehlt eine gute Argumentation, was man dagegen vorbringen könnte. Ich halte das für eine sinnvolle Angelegenheit – angesichts der Themen Gewalt, pluralistische Gesellschaft, unterschiedliche Vorstellungen über das, was sein soll oder nicht. Auch der integrationspolitische Aspekt ist zu berücksichtigen.
Haben Sie das Budget dafür? Oder müssten Sie dafür zusätzliches vom Finanzminister bekommen?
Faßmann: Für den Einstieg werde ich mit meinem Budget durchkommen. Längerfristig, wenn es den Unterricht von der Sekundarstufe 2 bis zur Volksschule geben soll, werde ich zusätzliches brauchen.
In überlaufenen Fächern gibt es Aufnahmeverfahren auf den Unis. Wenn ich maturiere und dann auf der Uni Aufnahmeprüfungen machen muss, was hat das Maturazeugnis dann noch für einen Wert?
Faßmann: Die Frage, ob jemand für spezifische Fächer gut geeignet ist, kann die Hochschule überprüfen. Die Universität muss ja Infrastruktur ausbauen oder neue Professuren ausschreiben. Da können die zur Verfügung stehenden Studienplätze nicht von einem Jahr auf das andere stark fluktuieren. Wenn es mehr Interessenten gibt, als eine Universität Plätze hat, muss eben ein faires Auswahlverfahren stattfinden.
Dass es überlaufene Fächer gibt, hat auch mit dem Numerus Clausus in Deutschland zu tun. Was halten Sie vom Numerus Clausus?
Faßmann: Nicht viel. Weil in den Numerus Clausus fließen auch Fächer in die Durchschnittsnote ein, die letztlich mit dem Studium wenig zu tun haben.
Sie waren Wissenschafter, amtieren seit einem Jahr als Minister, sind quer in die hohe Politik eingestiegen. Ist diese so, wie Sie sie sich vorgestellt haben?
Faßmann: Ich habe nicht alles vorher wissen können, weil ich Politik nicht von der Pike auf gelernt habe. Politik ist aber nicht so unglaublich anders, verglichen zur Leitungsfunktion in einer großen Universität (Faßmann war Vizerektor für Forschung und Internationales an der Uni Wien). Man muss Entscheidungen treffen, Interessen abwägen, Gruppen zu überzeugen versuchen.
Kommen Sie mit dem obersten Gebot dieser Regierung, der Harmonie von ÖVP und FPÖ nach außen hin, zurecht? Oder nervt Sie, dass Sie öffentlich nicht sagen sollen, was Sie denken?
Faßmann: Schule, Wissenschaft und Forschung sehe ich nicht so sehr als Konfliktlinien. Und Herr Nepp ist Vertreter der Wiener FPÖ, nicht der FP-Bundespartei.
Sie sind im Bund mit einer Partei, deren Repräsentanten immer wieder durch „Einzelfälle“ auffallen – und in sozialen Netzwerken teils sehr Heftiges von sich geben. Wie geht es Ihnen damit?
Faßmann: Das ist überflüssig. Das gehört nicht zu meiner Art des Politikstils. Wir sollten sachlich agieren, mit Respekt für den Anderen und ohne Konstruktion von Feindbildern.
Caritas-Präsident Michael Landau hat „Empathie-Defizite“ in der Regierung geortet. Führende Freiheitliche haben die Caritas dann heftig kritisiert, von Asylindustrie und Profitgier gesprochen. Sehen Sie diese NGO so, wie die FPÖ sie sieht?
Faßmann: Nein. Die Caritas ist eine ganz wichtige Einrichtung. Vieles in diesem Land würde ohne das ehrenamtliche Engagement nicht funktionieren, von der Pflege älterer Mitbürger über die Betreuung von Asylwerbern bis zu den Lerncafés. Ich bin froh, dass es diese Institution gibt. Ich kenne Landau, schätze ihn und seine Tätigkeit für Menschen, die Hilfe brauchen, sehr.
Das Gespräch führten Karin Leitner und Serdar Sahin