Osttirol

Kalser Lawinenkommission: Augen für die weiße Gefahr

Bürgermeisterin Erika Rogl ist der Mittelpunkt der Kalser Lawinenkommission.
© Rogl

Erika Rogl ist eine von vier Frauen, die tirolweit in Lawinenkommissionen die Schneelage beurteilen. Unmut und Druck wachsen, wenn Straßen gesperrt bleiben.

Von Philipp Schwartze

Kals –Wie auf Nadeln sitzen – so fühlt es sich für Erika Rogl an, wenn unaufhörlich Schnee fällt. „Man weiß, es liegt etwas in der Luft, man weiß, wenn es nicht aufhört, muss man eingreifen“, sagt die 52-jährige Bürgermeisterin von Kals am Großglockner, Leiterin von einer von 245 Lawinenkommissionen in ganz Tirol.

Rogl ist mit ihren elf Mitarbeitern, die bereits bei den ersten Schneeflocken Beobachtungen machen, für insgesamt 180 Quadratkilometer zuständig. Schnee kommt hier entweder von Norden – und betrifft dann die Tauern – oder von Süden, wo er dann meist die tieferen Lagen trifft. Das Gemeindegebiet am Fuße des Großglockners weist besonders große Höhenunterschiede auf, was es besonders anspruchsvoll macht. Landwirte, Berg- und Skiführer, Gemeinde- und Straßenarbeiter und Mitarbeiter der Bergbahnen analysieren unter der Leitung Rogls stetig die Lage.

Wenn es kritisch wird, wird das Ehrenamt zu einem Job mit schlaflosen Nächten – wie etwa im letzten Winter. „Der war sehr schneereich und reichte bis weit ins Frühjahr hinein. Das lässt einen dann oft den ganzen Tag nicht unberührt, weil man immer wieder die aktuellen Informationen einholt und abstimmt. Und oft auch in der Nacht Messungen und Beobachtungen durchführt.“

Bei der Ausbildung im Gelände werden Schneeprofile erstellt.
© LWK Kals/Unterweger

Heutzutage läuft der Großteil der Kommunikation über Mail, SMS oder WhatsApp. „Dadurch sind weniger gemeinsame Treffen nötig. Aber in kritischen Fällen kommt man im Gemeindeamt zusammen und berät.“

Alle fünf Jahre müssen die Kommissionsmitglieder an einer Fortbildung teilnehmen. Frauen gibt es in diesem Job in Tirol bisher nur wenig – auf rund 1300 Mitglieder kommen nur vier Frauen. „Es gibt immer mehr Berg- und Skiführerinnen, die sicherlich bestens für dieses Amt geeignet sind“, meint Rogl.

Sie selbst ist eher jemand, der auf gesicherten Pisten und Rodelbahnen bleibt, Lawinen seien nicht ihr Steckenpferd gewesen. Doch als sie 2013 Amtsleiterin wurde, hat sie von ihrem Vorgänger die Protokolltätigkeit für die Lawinenkommission übernommen – und kurz darauf einen dreitägigen Kurs besucht.

Besonders nach mehreren Tagen Straßensperren werde der Druck auf die Kommission größer – die sich nicht beirren lassen darf und eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen hat. Doch „100 Prozent Sicherheit gibt es nicht“, sagt auch Rogl. Aufgehoben werden die Sperren nur einvernehmlich durch alle Mitglieder der Kommission.

Wetterberichte und Vorhersagen, aber auch Erfahrungswerte sind dabei wichtig. „Besonders wertvoll sind die langjährigen Kenner, die vergangene Ereignisse in Erinnerung haben und die Vorgeschichte von Lawinenabgängen schildern können“, sagt Rogl.

Auf besonders viel Unverständnis stoßen sie und ihre Kollegen weniger im tiefen Winter, sondern im Frühjahr. „Wenn es im Tal grün ist, wächst der Druck, Straßensperren aufzuheben. Die Leute verstehen oft nicht, dass von weiter oben Lawinengefahr droht“, sagt Rogl. Und manchmal lägen auch einfach die Nerven der Leute blank. „Das darf man nicht persönlich nehmen“, sagt die 52-jährige Kalserin.

Sie bemüht sich um Aufklärung und frühzeitige Informationen und Maßnahmen. „Wenn die Gefahr einer Straßensperre besteht und eine hochschwangere Frau im Ort ist, versucht man sie nach Möglichkeit woanders unterzubringen, genau wie bei schweren Krankheitsfällen“, nennt sie Beispiele.

Heuer könnte die Lage noch kritischer werden, Sturmschäden im Gemeindegebiet haben im Oktober viel schützenden Wald zerstört. Im Bereich der einzigen Zufahrtsstraße liegen 140.000 Festmeter Windwurfholz. „Die Arbeit der Lawinenkommission ist gut, kann aber Verbauungsmaßnahmen nicht ersetzen“, sagt Rogl auch in ihrer Funktion als Bürgermeisterin, um verbaute Lawinenstriche und Netze – eine kostspielige Angelegenheit – bemüht.

Ereignisse wie die Lawinenkatastrophe von Galtür vor gut 20 Jahren will man vermeiden. „Jeder, der die Gelegenheit hatte, den Kollegen Toni Mattle aus Galtür zu hören, wenn er dieses katastrophale Ereignis schildert, kann sich einer Gänsehaut und starker Emotion nicht erwehren“, sagt ­Rogl. Sie hofft, von solchen Unglücken verschont zu bleiben und gar nicht erst in die Lage zu kommen, solche Ereignisse abarbeiten zu müssen.

„Mir ist die Verantwortung sehr bewusst. Ich hoffe, dass ich mit den Jahren der Verantwortung auch mehr an Routine gewinnen werde“, sagt ­Rogl. Auf ihre elf Kollegen und auch weitere Experten kann sie dabei zählen.

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Catharina Oblasser

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