Mindestsicherung - Die Wiener Stellungnahme

Wien (APA) - Das Land Wien lehnt den Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Mindestsicherung ab. Die entsprechende Stellungnahme wurde am Donne...

Wien (APA) - Das Land Wien lehnt den Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Mindestsicherung ab. Die entsprechende Stellungnahme wurde am Donnerstag der Öffentlichkeit präsentiert. Im Folgenden Auszüge aus dem 42 Seiten umfassenden Papier:

Wien ist unter anderem überzeugt, dass ein Rahmengesetz nicht geeignet ist. Empfohlen wird eine 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Der Entwurf ignoriere, so wird ausgeführt, auch die Vorgaben des Rechnungshofs: „Eines der Ziele (...) ist die bundesweite Vereinheitlichung der Mindestsicherung. Dieses Ziel, das auch unter anderem vom Bundesrechnungshof gefordert worden ist, kann nicht mit einem Grundsatzgesetz umgesetzt werden, das den Ländern im Rahmen der Ausführungsgesetzgebung einen entsprechenden, dieser Einheitlichkeit entgegenstehenden, Umsetzungsspielraum gewähren muss.“

„Der gegenständliche Entwurf steht in diametralem Gegensatz zu den Errungenschaften der Bedarfsorientierten Mindestsicherung“, wird außerdem versichert: „Die offene Sozialhilfe soll im Wesentlichen in jenes in der Zeit vor der Mindestsicherung bestehende System rückgebaut werden. Die verfolgten Ziele dienen nicht primär der Existenzsicherung oder der Verhinderung sozialer Notlagen.“ Auch die Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung fehle nun, wie beklagt wird.

„Das Bild über den BezieherInnenkreis der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist von einer Fehleinschätzung geprägt. Es entsteht der Eindruck, dass das Grundsatzgesetz ohne Evidenz auf dem Reißbrett entworfen wurde. Das Gesetz ignoriert die Tatsache, dass es sich bei der Gruppe der MindestsicherungsbezieherInnen um eine sehr heterogene Gruppe handelt, mit unterschiedlichen Notlagen und Bedarfen.“ Außerdem sei die Unterstellung einer gezielten „Zuwanderung in das österreichische Sozialsystem“ weder rechtlich noch wissenschaftlich haltbar. Der Zugang sei jetzt schon streng geregelt.

„Menschen aus Drittstaaten und der EU mussten bereits bisher aufenthaltsverfestigt sein, um Leistungen der Mindestsicherung beziehen zu können. Früheren Zugang zur Mindestsicherung haben erwerbstätige Personen, die unverschuldet arbeitslos geworden sind und Unterstützung benötigen“, hält Wien in der Stellungnahme fest.

Weiters wird betont: „Nur rund ein Drittel der MindestsicherungsbezieherInnen steht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung bzw. ist arbeitsfähig (...) Leistungskürzungen stellen demnach vorwiegend ein Einsparungspotenzial dar und sind in ihrer aktivierenden Wirkung (im Sinn einer Rückkehr in die Erwerbstätigkeit, Anm.) überschaubar.“ Gewarnt wird auch vor steigender Kinderarmut: „Die geplante Kürzung der Mindestsicherung trifft Familien überproportional.“ Dabei sei Kinderarmutsprävention nicht nur die „beste und nachhaltigste“, sondern auch die billigste Prävention im Kinderschutz.

Der Gesetzesentwurf sei in einer Art und Weise verfasst, der einer „modernen Sozialpolitik unwürdig ist“. Nicht nur der Rückgriff auf den Begriff „Sozialhilfe“ statt „Mindestsicherung“ zeige die rückwärtsgewandte Ausrichtung des Gesetzes. Begrifflichkeiten wie „menschenwürdiges Leben“, „Vermeidung von Armut“, „Hilfestellung, Beratung und Betreuung“ und „Prävention“ seien ausgespart und durch Begriffe wie „abschreckende Wirkung“, „Ausschluss von der Bezugsberechtigung“ oder „Höchstwerte“ statt „Mindeststandards“ ersetzt. „Statt Antworten auf die brennendsten sozialen Fragen unserer Gesellschaft zu geben, werden diese mit diesem Gesetzesvorschlag verschärft.“

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Wien vermutet außerdem eine Verfassungswidrigkeit. Ein Grundsatzgesetz dürfe nämlich nicht zu konkret sein, sei es im konkreten Fall aber sehr wohl: „Der vorgelegte Entwurf ist teilweise über das zulässige Maß hinaus konkretisiert und bestimmt: Anspruchslegitimationen, Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsumfang bzw. Leistungsausgestaltung sind starr vorgegeben, ein Spielraum verbleibt im Hinblick auf den anspruchsberechtigten Personenkreis (...) sowie die Anspruchsvoraussetzungen (...) nicht.“

„Die konkrete Vorgabe von je nach Personenanzahl und -zusammensetzung unterschiedlich hohen, nicht überschreitbaren, Höchstsätzen (...) geht weit über den zulässigen Inhalt einer Ermächtigungsnorm für die Länder hinaus. Es steht dem Landesgesetzgeber somit nicht mehr frei, besondere Regelungen für Haushaltsgemeinschaften zu schaffen, obwohl hier grundsätzlich ein anderer Bedarf vorliegt als bei Einpersonenhaushalten. Der Landesgesetzgeber kann danach auch nicht mehr sicherstellen, dass das von ihm eingerichtete System der bedarfsorientierten Mindestsicherung seinen eigentlichen Zweck - die Vermeidung und Bekämpfung sozialer Notlagen bei hilfsbedürftigen Personen - erfüllt.“

Erinnert wird auch daran, dass der Rechnungshof den Bund und die Stadt aufgefordert hat, die Verwaltung zu vereinfachen und die Transparenz zu erhöhen. „Davon ist im vorliegenden Gesetzesentwurf nichts zu finden. Ganz im Gegenteil wird dadurch der administrative Aufwand um ein Vielfaches erhöht.“ Die nötige Ermittlung von Wohnkosten sei etwa sehr umfassend, wird beklagt. Auch die Anhörung der Fremdenbehörde im Falle von EWR-Bürgern sowie die erforderliche Erhebung von gerichtlichen Freiheitsstrafen verursache zusätzlichen Verwaltungsaufwand.

Das gelte auch für die Administration des „Arbeitsqualifizierungsbonus“, bei dem etwa Pflichtschulabschluss, Deutschkenntnisse, Vermittelbarkeit oder auch andere Sachleistungen wie Sprachmaßnahmen geprüft werden müssten. Auch Mehrkosten etwa durch einen Anstieg der Obdachlosigkeit werden befürchtet.

„Die erhofften Wirkungen im Bereich der Arbeitsintegration werden auch von Seiten des Bundes in den Folgeabschätzungen mit 2.000 zusätzlichen Arbeitsaufnahmen für ganz Österreich im Jahre 2024 (von derzeit 28.000 pro Jahr) nur sehr gering eingeschätzt (..). Daraus ist zu schließen, dass der Bund kein großes Vertrauen in seine Maßnahmen hat oder die Integration in den Arbeitsmarkt nur ein vorgeschobenes Ziel ist, um massive Leistungskürzungen einzuleiten (...) Darüber hinaus werden die Arbeitsmarktchancen von MindestsicherungsbezieherInnen durch die bereits erfolgten und geplanten Einsparungen des S, insbesondere bei Deutschkursen oder Qualifizierungsangeboten, weiter reduziert werden.“

Dass die Neuregelung Einsparungen bringt, wird schlicht bezweifelt. Denn es müsse „festgehalten werden, dass die (...) möglichen Minderausgaben für die Länder bestenfalls als vage Vermutung angesehen werden können“. Berechnungen könne man derzeit noch nicht anstellen: „Aufgrund der in diesem Gesetzesentwurf festgelegten Kann-Bestimmungen und der daraus sich ergebenden möglichen Einsparungspotentiale bzw. resultierenden, derzeit nicht quantifizierbaren, Mehrausgaben sowie der noch offenen Fragen (...) kann jedenfalls keine abschließende finanzielle Bewertung abgegeben werden.“