Wirtschaft um Brexit-Chaos besorgt - „Europa schwächt sich selbst“

London (APA/AFP/Reuters/dpa) - Die Sorge vor einem chaotischen Brexit steigt. Am Dienstag stimmt das britische Parlament über das Austrittsa...

London (APA/AFP/Reuters/dpa) - Die Sorge vor einem chaotischen Brexit steigt. Am Dienstag stimmt das britische Parlament über das Austrittsabkommen mit der EU ab. Eine Ablehnung gilt als wahrscheinlich. Damit droht Ende März ein ungeregelter EU-Austritt Großbritanniens mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft.

Österreichs Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny erwartet vom Brexit jedenfalls eine Schwächung Europas. „Man muss nüchtern feststellen, dass der Brexit negative Effekte hat, weil das größte Finanzzentrum, London, tendenziell geschwächt wird. Auch bei Euro-Transaktionen wird es zu einer Neuverteilung kommen“, erläutert Nowotny im „Standard“ (Wochenendausgabe). Das werde zum Teil Euroländer stärken - Städte wie Frankfurt oder Paris, aber New York scheine einer der großen Gewinner zu werden. „New York hat im Vorjahr London als größtes Finanzzentrum der Welt abgelöst. Mit dem Brexit schwächt sich Europa selbst“, resümiert der OeNB-Chef.

Die britische Polizei fürchtet im Fall eines harten Brexit Hamsterkäufe der Bevölkerung und rät Einzelhändlern zu zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen. Kunden könnten aus Angst vor Versorgungsengpässen in deutlich größerer Zahl in die Läden strömen, erklärte die Polizei des Großraums London am Freitag. Dies könne zusätzliche Vorkehrungen erforderlich machen. Durch ein Hochfahren der Sicherheitsmaßnahmen der Händler werde im Falle von Turbulenzen die Polizei entlastet.

Die Einzelhändler reagierten zurückhaltend auf die Warnungen. James Martin, Sicherheitsberater beim britischen Einzelhandelsverband, erklärte, die Händler würden eng mit der Polizei zusammenarbeiten. Die rund 5.000 Mitglieder des Verbands hätten Erfahrung darin, ihren Kunden sicheres Einkaufen zu ermöglichen und die Verkäufer zu schützen.

In Großbritannien droht ein Engpass bei frischen Lebensmitteln, wenn das Land ohne Abkommen aus der EU ausscheiden würde, warnte diese Woche die größte Supermarktkette des Landes, Tesco. Man habe zwar bereits die Vorräte an Lebensmitteln in Flaschen, Dosen und Paketen aufgestockt und es gebe Pläne für jede Produktkategorie. Aber Großbritannien importiere die Hälfte seiner frischen Lebensmittel. Tesco arbeite bereits an Notfallplänen für einen harten Brexit. Bei frischen Lebensmitteln könne man aber keine Vorräte anlegen, sagte Tesco-Chef Dave Lewis.

Die Supermärkte befürchten, dass bei einem Brexit ohne Abkommen große Verzögerungen an den Häfen auftreten. Zuerst würden frische Produkte wie Obst und Gemüse betroffen sein. Durch die befürchteten Engpässe drohen auch Preiserhöhungen.

Sorgen haben auch Exporteure nach Großbritannien: Die stark vom Export abhängige deutsche Möbelindustrie fürchtet bei einem ungeregelten Brexit einen deutlichen Einbruch der Geschäfte. Gerechnet werde in diesem Fall mit einem Exportrückgang um etwa 25 Prozent im Geschäft mit Großbritannien, teilte der Verband der Deutschen Möbelindustrie in Köln im Vorfeld der Möbelmesse IMM mit. Ein solcher Umsatzeinbruch im Geschäft mit Großbritannien würde im laufenden Jahr die erwarteten Exportzuwächse in anderen Auslandsmärkten voraussichtlich kompensieren, hieß es. Großbritannien steht derzeit mit einem Umsatz von gut 700 Millionen Euro im Jahr hinter Frankreich, der Schweiz, Österreich und den Niederlanden auf dem fünften Platz der wichtigsten Exportländer der deutschen Möbel-Branche.