„Das Licht“ von T.C. Boyle: Von der Utopie zum schlechten Trip

Wien/Innsbruck (APA) - In den 1960er-Jahren hatte US-Psychologe und LSD-Guru Timothy Leary in einer Art Kommune „Gruppensessions“ veranstalt...

Wien/Innsbruck (APA) - In den 1960er-Jahren hatte US-Psychologe und LSD-Guru Timothy Leary in einer Art Kommune „Gruppensessions“ veranstaltet. Durch die Einnahme von psychedelischen Drogen sollten seine Gefolgsleute „eine neue Welt“ betreten, wie es T.C. Boyle in seinem soeben auf Deutsch erschienenen Roman „Das Licht“ formuliert. Der Kultautor zeigt, wie die Suche nach Erleuchtung zum schlechten Trip wird.

Wie in vielen seiner Romane (etwa „Dr. Sex“ oder „Willkommen in Wellville“), bedient sich Boyle historischer Gestalten und gewohnt penibel recherchierter Begebenheiten. Darin eingebettet erzählt er mit sachlicher Nüchternheit - und dadurch umso eindringlicher Wirkung - die fiktive, aber plausible Geschichte des Psychologie-Doktoranden Fitz und dessen Frau Joannie, die in den „Inneren Kreis“ des umstrittenen Dozenten Leary aufgenommen werden. Die Einnahme von halluzinogenen Stoffen soll das Bewusstsein erweitern und „tiefste interpersonelle Harmonie“ fördern.

Schon im „Vorspiel“ seines Buchs schildert Boyle das Geschehen, in diesem Fall das erste Selbstexperiment und das erste High des LSD-Entdeckers Albert Hofmann in Basel 1943, aus der Sicht einer Nebenfigur, der Sekretärin des Chemikers. Der Leser soll zwar die Hintergründe kennen, aber bei „Das Licht“ geht es nicht vordergründig um die Prominenten Hofmann und Leary, deren Biografien ausreichend vorhanden sind. Ken Kesey und Mary Pranksters, die in San Francisco legendäre Drogen-Happenings, sogenannte Acid Tests, veranstalteten und zu den wichtigsten Proponenten der Hippie-Kultur zählen, tauchen folgerichtig nur als Randnotiz auf.

„Das Licht“ veranschaulicht die Wirkung Learys auf andere und die Begeisterung und Unreflektiertheit, mit der diese ihrem Guru folgen. Auch Fitz und Joannie verfallen ihm und den Verheißungen, die das damals noch nicht verbotene, aber bereits umstrittene LSD bietet. Begeistert von freier Liebe, Sinneserweiterung und Gruppendynamik nimmt das Paar an „Samstagssessions“ an Learys Uni teil, dann folgen sie dem Guru und seiner Schar nach Mexiko und schließlich nach New York, wo man in einem Gemeinschaftshaus die Auflösung der gesellschaftlichen Strukturen probt - letztendlich aber bloß den nächsten Trip herbeisehnt; im Fall von Fitz längst unfähig, mit der Realität klar zu kommen.

Der drogenerfahrene Tom Coraghessan Boyle erhebt in „Das Licht“ nie den moralischen Zeigefinger. Es ist dem Leser überlassen, Schlüsse zu ziehen. Der Blickwinkel springt von Fitz zu Joannie und von ihr wieder zu Fitz. Beide erliegen zunächst der Verheißung nach Spiritualität, Transzendenz und ausgelebter Sexualität ohne Besitzanspruch. Ihre Empfindungen sind nachvollziehbar, zu verlockend sind die Versprechen einer utopische Lebensweise, die bloß von „Spießern“ abgelehnt wird. Beide erleben den Trip auf unterschiedliche Art: Joannie wacht ernüchtert auf und kehrt in die konventionelle Welt zurück, Fitz verliert sich in Egomanie, seine Sucht kennt kein Zurück. Die Gegenkultur ist nicht nur an reaktionären Gegenströmungen, sondern auch an sich selbst gescheitert.

„Wir betreten eine neue Welt, Fitz, du kannst dich darauf verlassen, dass wir sie erforschen werden, bis in ihren innersten Kern“, verheißt Leary zu Beginn. „Scheiß auf Gott. Gehen wir auf Trip“, raunt Fitz am Ende. Und Joannie bilanziert das als heilig verklärte Experiment (LSD wird von der Gruppe als Sakrament bezeichnet) rational: „(....) wenn es nur das kleinste bisschen mit Psychologie als Wissenschaft zu tun hatte, dann mussten sie zugeben, dass LSD in erhöhter Dosierung oder Frequenz problematisch war.“ Boyles „Das Licht“ ist ein später Beatnik-Roman, aber auf alle Fälle eine essenzielle Ergänzung - und unterhaltsam sowieso.

Die einzige Österreich-Lesung T.C. Boyles am 12. Februar im Innsbrucker Treibhaus ist bereits ausverkauft. Die Veranstalter kündigen deswegen auch eine „Übertragung auf Großbild in den Keller“ an.

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(S E R V I C E - Tom Coraghessan Boyle: „Das Licht“, aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren, Carl Hanser Verlag, 384 Seiten, 25,70 Euro; Einzige Österreich-Lesung am 12.2., 20.05 Uhr, im Innsbrucker Treibhaus)