“Spinner“: Die Mühsal des Erwachsenwerdens
Benedict Wells’ Romanerstling „Spinner“ vermittelt das Lebensgefühl junger Menschen, die ihren Weg suchen.
Innsbruck –Benedict Wells ist kein Nobody im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Romane wie „Becks letzter Sommer“ (2008) oder „Vom Ende der Einsamkeit“(2016) verkauften sich gut und stießen auf wohlmeinende Kritik.
„Spinner“, Wells’ Bucherstling, ist hingegen unter dem Radar der Aufmerksamkeit durchgerutscht. Diesen Roman schrieb der heute 34-jährige Autor mit 19. Inzwischen ist das Buch in überarbeiteter Version zum zweiten Mal erschienen. Eine gute Gelegenheit, es kennen zu lernen. Man erfährt viel über die Lebensrealität junger Menschen. Eine Realität, die reifere Semester allzu gerne verdrängen.
„Spinner“ ist autobiografisch gefärbt. Wells’ eigene Vita ähnelt jener von Roman-Antiheld Jesper Lier. Beide verfügten sich nach der Schule von München nach Berlin, um sich als Schriftsteller zu versuchen. Der reale Wells hatte Erfolg, seine Romanfigur tritt auf der Stelle. Jesper produziert ein Opus magnum – weit jenseits von 1000 Seiten und jenseits jeder Lesbarkeit. Selbst befreundete Lektoren vermögen es nicht, das Skriptum schönzureden.
Berufliches Fortkommen ist bei Weitem nicht das einzige Problem, mit dem Jesper, bloße 20 Jährchen alt, in der großen, fremden Stadt fertig werden muss. Er lebt von der Hand in den Mund und haust in einem Kellerloch. Der Blick aus dem Fenster zeigt lediglich Beine vorbeihastender Berliner. Zwielichtige Kleinganoven sind ihm auf den Fersen, eine Verwechslung mit Folgen. Auch amourös befindet sich Jesper in der Sackgasse. Er entflammt für Studentin Miriam, doch die hakt ihn nach einem One-Night-Stand gleich wieder ab.
Immerhin hat Jesper zwei Kumpels, Gustav und Frank, mit denen er Zeit totschlägt. Ausflüge in die Berliner Party- und Nachtszene enden mit üblen Abstürzen. Jesper wirkt selbst im Rauschzustand introvertiert, einsam und tieftraurig, ungewöhnlich für einen jungen Mann, der die Freiheit fern von daheim so richtig auskosten will.
Dem körperlichen Zusammenbruch folgt der Weckruf. Jesper muss seine Flucht beenden, Tatsachen anerkennen, sein Leben selbst in die Hand nehmen. Wir erfahren, was wirklich mit Jespers geliebtem Vater geschah, den er so früh verloren hat.
Wells lässt uns tief in Jespers Innerstes blicken. Seine jugendlich-saloppe Sprache wirkt wie ein Schleier, um Unsicherheiten und Ängste zu verbergen. Mit 20 hat der junge Mann das ganze Leben noch vor sich. Doch schon für den ersten Schritt vorwärts fehlt ihm die Kraft. Von wegen schöner Vogel Jugend.
Am Ende blickt Jesper durch: „Es ist der Fluch der Jugend, dass man glaubt, ständig zu leiden. Doch wenn diese Zeit vorbei ist, stellt man verwundert fest, dass man sie geliebt hat. Und dass sie nie mehr zurückkommt.“ Besser kann man das Dilemma des Erwachsenwerdens kaum auf den Punkt bringen. (mark)
Roman Benedict Wells: „Spinner“ Diogenes, Neuausgabe 2016, 320 Seiten, 12,40 Euro.