*Venezuela-Krise - Politologe: Europa schwenkt auf US-Kurs ein*
Wien (APA) - Der Politologe Tobias Boos sieht die europäische Positionierung in Hinblick auf die Regierungskrise in Venezuela als Annäherung...
Wien (APA) - Der Politologe Tobias Boos sieht die europäische Positionierung in Hinblick auf die Regierungskrise in Venezuela als Annäherung an die US-Außenpolitik an. Dies sagte er am Montag im APA-Interview. Nachdem Maduro ein Ultimatum mehrerer EU-Staaten verstreichen ließ, erkennen nun unter anderem Österreich, Großbritannien und Spanien Oppositionsführer Juan Guaidó als Interimspräsidenten an.
Zuvor sei stattdessen die Legitimität der Nationalversammlung betont worden, der der 35-jährige Mitte-rechts Politiker als Präsident vorstehe, so der an der Universität Wien tätige Politikwissenschafter. Diese Differenzierung habe Verhandlungsspielraum mit der Regierung von Nicolás Maduro gelassen, erklärte er.
Das Ultimatum der europäischen Staaten sei hingegen ein „Schnellschuss“ gewesen und stelle einen „Schwenk in Richtung US-Kurs“ dar. Es sei völlig klar gewesen, dass kein Land der Welt eine solche Forderung akzeptieren könne - es sei um reine Symbolik gegangen, lautet die Einschätzung des Experten. Zudem bewege sich die Anerkennung Guaidós als Staatspräsident „verfassungsrechtlich auf sehr dünnem Eis“, so Boos. Die Entscheidung beziehe sich auf Artikel 233 der venezolanischen Verfassung, die den Fall der „falta absoluta“, also die vollständige Abwesenheit der Exekutive regelt.
„Der Hintergrund der Anerkennung war der jeweilige nationalen Zugzwang“, folgert der Politologe. Das gelte vor allem für Großbritannien mit seiner politischen Nähe zu den USA, sowie für Spanien, wo das rechte politische Spektrum das Thema Venezuela gerne als Schreckgespenst gegen die derzeitige Mitte-links Regierung ausspielt.
Auch die Deklaration des europäischen Parlaments, das sich bereits am Donnerstag für die Anerkennung Guaidós ausgesprochen hatte, sei reine Symbolpolitik. „Der Ausgang der Abstimmung ist allerdings nicht verwunderlich, wenn man sich die aktuellen Kräfteverhältnisse im EU-Parlament ansieht“, sagte Boos. Die konservative Europäische Volkspartei habe hier den größten Einfluss.
Im Gegensatz zu Europa haben die USA sehr konkrete Interessen in Venezuela. „Jeder weiß natürlich, dass es nicht um Menschenrechte und Demokratie geht“, sagte der Politologe. Thema „Nummer eins“ seien zweifelsohne die Ölvorkommen, Venezuela verfüge über die weltweit größten bekannten Erdölreserven. Derzeit habe Caracas Handelsverträge mit Russland und China - die aktuelle Krise sei für die USA eine Möglichkeit, den Einfluss dieser Konkurrenten in der Region einzuschränken, so Boos: „Venezuela ist ein Spielball der Geopolitik.“
Dazu komme die derzeitige geopolitische Verschiebung durch den Rechtsruck Lateinamerikas. So finde etwa seitens Brasiliens, Kolumbiens und Ecuadors eine starke Annäherung an die USA statt. „Venezuela ist immer das Thema, an dem die Re-Orientierung Lateinamerikas am deutlichsten wird“, meinte der Politologe.
Eine große Herausforderung für die Lösung des Konflikts sieht Boos im Aufbau einer Parallelregierung Guaidós. Aktuell würden etwa politische Botschafter jener Länder ernannt, die ihn als Interimspräsidenten anerkennen. „Das setzt die Regierung Maduros unter Zugzwang. Er wird das nicht mehr lange akzeptieren können“, prognostizierte er.
Dies könne mitunter sehr gefährlich sein, da man nicht unterschätzen dürfe, wie stark der Rückhalt Maduros unter seinen Sympathisanten sei - darunter vor allem das Militär, dazu gehörten aber auch bewaffnete Gruppierungen. Bürgerkriegsähnliche Zustände seien dann denkbar. Eine militärische Intervention in Venezuela, deren Möglichkeit die USA immer wieder andeute, sei jedenfalls kategorisch abzulehnen, unterstrich der Experte.
Entscheidend sei nun vielmehr, auf Verhandlungen zu setzen und diese zu ermöglichen. „Derzeit sind weder die Opposition noch die Regierung zu Kompromissen bereit. Das ist aber der einzige Weg, wie es zu einer Entspannung der Situation kommen kann“, so Boos. Es sei jetzt große Vorsicht gefragt, das Fass stehe „kurz vor der Explosion“.
Venezuela steckt seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise. Rund drei Millionen Venezolaner sind bereits ins Ausland geflüchtet. Das Land leidet unter einem Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten, Hyperinflation macht Bargeld zudem faktisch wertlos. Vor diesem Hintergrund wurden vielfach Hilfsmittellieferungen gefordert, fraglich ist jedoch, wie diese ins Land gelangen sollen. Die Verteilung der Mittel durch ausländische Truppen wird von Maduro und dem venezolanischen Militär strikt abgelehnt. Eine Verteilung ohne ihre Zustimmung könnte den Konflikt endgültig eskalieren lassen, beurteilt Boos die Situation.
Guaidó selbst sei ein unbeschriebenes Blatt in Venezuela - gerade das gilt laut Boos als ein Grund für seinen Erfolg. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, als die Opposition stark zerstritten gewesen sei, könne sie sich unter Guadió besser auf eine gemeinsame Linie einigen. Programmatisch seien bisher von ihm allerdings nicht viel mehr als Slogans zu hören gewesen, sagte der Experte. Für eine Beurteilung seiner politischen Position sei es noch zu früh.
Guaidó ist laut Boos Mitglied der Mitte-rechts Partei Voluntad Popular (VP), auf Deutsch Volkswille, die für eine liberale Marktwirtschaft in Venezuela steht. Als sein Mentor gilt demnach Leopoldo López, ein ehemaliger Oppositionsführer von VP, der derzeit unter Hausarrest steht und von seinem Wohnzimmer aus entscheidend am Schulterschluss der Opposition gearbeitet hat.