1938 — 2019

Ötztaler Dialekt-Dichter Hans Haid kurz vor 81. Geburtstag verstorben

Hans Haid im Winter 2018 in Längenfeld, wo seit 2010 seine umfangreiche volkskundliche Sammlung im Gedächtnisspeicher im „Schmidlas“-Haus archiviert und bearbeitet wird.
© Thomas Boehm / TT

Abschied von einem „Quer-, Längs-, Vor- und Nachdenker“: Zum Tode des großen Ötztaler Volkskundlers und Dialekt-Dichters Hans Haid, der gestern kurz vor seinem 81. Geburtstag starb.

Von Joachim Leitner

Längenfeld – Hans Haid war einer jener Leser, die sich Zeitungsschreiber wünschen. Und die sie insgeheim fürchten. Als der Verfasser dieser Zeilen vor einigen Jahren bei der vagen Lokalisierung einer Ötztaler Ortschaft gehörig danebenlag, ereilte ihn tags darauf ein Anruf: „Nichts für ungut, aber wenn wir da nicht genau sind, können wir es auch lassen. Sall wöll.“ Und selbst als Nicht-Ötztaler konnte man nichts anderes sagen, als: „Sall wöll.“

Gestern ist Hans Haid, der verdiente Volkskundler, unablässige Sammler, begnadete Spötter und Schöpfer wunderbarer Dialektgedichte, nach langer, schwerer Krankheit gestorben. In wenigen Wochen, am 26. Februar, wäre er 81 Jahr­e alt geworden.

Geboren wurde Hans Haid 1938 auf einem Bergbauernhof in Längenfeld. Dort wuchs er auf, träumte früh davon, Dichter zu werden. Erst mit Anfang dreißig fand er auch ganz offiziell Eingang in die Welt der Wissenschaft. In Wien studierte er Volkskunde. Zum Missfallen seiner Eltern, die ihn lieber im Priesterseminar gesehen hätten.

In Wien traf er nicht nur sein­e spätere Frau, die Musik­ethnologin Gerlinde Hofe­r, mit der ihn eine mehr als vier Jahrzehnte andauernde innig­e Lebens- und Arbeitspartnerschaft verband. Er knüpfte auch Kontakte zu den poetischen Aktionisten der Wiener Gruppe. Vor allem mit H. C. Artmann, der wie Haid die dialektale Formenvielfalt erforschte, stand er im regen Austausch. Noch vor Abschluss seines Studiums mit einer Dissertation über „Das Brauchtum des Ötztales und seine Wandlung“ veröffentlichte er 1973 mit „An Speekar in dein Schneitztiechlan“ eine erste mit Graphiken von Cornelius Sternmann versehene Lyriksammlung. „Die Ötztaler Dialektgedichte sind mir sehr wichtig. In dieser Sprache treffe ich besser, greife ich tiefer, bin ich konkreter und zugleich poetischer“, sagte er einmal.

Einen „Quer, Längs-, Vor- und Nachdenker“ hat der Innsbrucker Germanist Johann Holzner Hans Haid 2010 genannt, als es galt, den Volkskundler und Literaten mit dem ersten Otto-Gründmandl-Preis zu würdigen. Und Haid bewies unmittelbar danach, was darunter zu verstehen ist: Mit wuchtigen Formulierungen las er Land und Leuten die Leviten: Tirol habe sich zu einem „Alpenmonster“ entwickelt, zu einem Landstrich, der „grau ist und kalt – und stirbt, wenn es so weitergeht“.

Doch Hans Haid war nicht nur ein – allzu oft ungehörter – Mahner und Kritiker kurzsichtiger turbotouristischer Umtriebe. Er war auch Sammler. Als Lyriker archivierte er – in den Worten der Literaturwissenschafterin Christine Riccabona – das Gesprochen­e, rettete Worte und Wendungen vor dem Vergessen. Und auch als Forscher legte er einen Gedächtnisspeicher an. Seit 1964 arbeitete er am Aufbau des Ötztaler Heimatvereins und des Freilichtmuseums mit, 1976 zählte er zu den Mitbegründern des Internationalen Dialektinstituts, weitere Verein­e und Initiativen folgten. Seit den 1970er-Jahren organisierte er Tagungen zur Regionalliteratur und volkskulturellen Themen.

Dass die Ötztaler Mundart im Oktober 2010 in Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der österreichischen Unesco-Kommission aufgenommen wurde, zählt zu den zeitlosen Verdiensten Hans Haids.

Doch bereits die schieren Ausmaße seiner in gut sechzig Jahren unbeirrbaren Zusammentragens entstandenen Sammlung sind beachtlich. Seit 2010 wird die Sammlung Haid im rund 500 Jahre alten „Schmidlas“-Haus in Längenfeld bearbeitet: mehr als 7000 Bücher, 5000 Dias, 1000 Langspielplatten sowie andere Tonträger, zahllose in Mappen geordnete Dokumente. Allein die von Haid seit 1977 herausgegebene Schriftenreihe „Ötztal-Archiv“ kam auf 25 Bände.

Hans Haids literarisches Werk, das neben Gedichten auch Hörspiele für den ORF und das 1986 bei den Tiroler Volksschauspielen Telfs uraufgeführte Stück „Tannene­h“ sowie Prosaarbeiten, etwa den Roman „Similaun“ (2008) umfasst, wird seit 2010 im Inns­brucker Brennerarchiv bearbeitet. Eine auf drei Bände angelegte Ausgabe ausgewählter Schriften ist derzeit in Arbeit. Band 1, „i schmeck in langes. Ausgewählte Gedicht­e“ erschien im Vorjahr im Haymon-Verlag. Eine Sammlung seiner Prosa-Texte soll 2020 folgen.

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