Literatur

“Das Licht“ von T.C. Boyle: Blendwerk einer Lichtgestalt

Die Rache der Schwerkraft am rauschhaften Abheben: Bestseller-Autor T. C. Boyle widmet sich in seinem jüngsten Roman der bewusstseinserweiternden und seinszersetzenden Kraft der Droge LSD.
© imago stock&people

In T. C. Boyles neuem Roman „Das Licht“ lernen strebsame Karrieristen den Reiz der Entgrenzung kennen und – krachen der Katastrophe entgegen.

Von Joachim Leitner

Innsbruck –„Everything went young in 64.“ Das sagte in der Rückschau einer, der es wissen muss. Pop-Art-Guru Andy Warhol nämlich. Warhol versuchte damit, den Optimismus eines vergleichsweise kurzen Zeitabschnitts zu beschreiben: Aussichten wurden rosiger, die Röcke kürzer, die Welt bunter und die Musik lauter. Jedenfalls in Amerika – und jenen Teilen der Welt, die sich um Westbindung bemühten. Allerdings setzt Warhol den Beginn dieser zwar folgenreichen, aber im Grunde kurzen Kulturrevolte recht spät an. Sozialpsychologisch jedenfalls: Schon im November 1963 wurde in Dallas auf John F. Kennedy geschossen. Und die Polizeiaktion zum Schutz der freien Welt nahm im fernen Vietnam bedrohliche Ausmaße an.

Über die ebenso unruhigen wie aufregenden frühen 1960er-Jahre sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Romane geschrieben worden. Vor allem in den USA. Kaum einem gelang es allerdings, für die explosive Mischung aus Unbedarftheit und ungebremster Neugierde so eindrücklich stimmige Bilder zu finden wie T. C. Boyle in seinem dieser Tage erschienenen „Das Licht“.

In „Das Licht“ geht es um jene wahrhaft bewusstseinserweiternden und seinszersetzenden Experimente, die der Psychologe Timothy Leary mit Lysergsäurediethylamid – kurz: LSD – an der US-Uni Havard und später im Untergrund durchgeführt hat.

Boyle beschreibt Leary als selbstbewussten Blender, dessen Selbstbewusstsein sich vornehmlich aus dem Umstand speist, dass er sein Blendwerk tatsächlich für bare Münze nimmt. Er verführt seine Studentinnen und Studenten mit dem Versprechen, Teil einer wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und letztlich auch humanen Avantgarde zu sein. Kurzum: Er ködert sie mit der Aussicht auf Karriere – und treibt sie in die Katastrophe.

Dass dieser Weg in die Katastrophe von ungeahnten Glücksahnungen gesäumt ist, macht die Lektürke von „Das Licht“ zum hinterhältigen Vergnügen: Man sieht das Unheil kommen – und freut sich trotzdem über Boyles funkelnde Formulierungen und die lakonisch gehaltenen Sentenzen, die alles rauschhafte Abheben krachend an die eigene Schwerkraft erinnern. Der mehr als Boyle-erfahrene Übersetzter Dirk van Gunsteren übrigens hat „Das Licht“ passgenau ins Deutsche übertragen. Und das, noch bevor das Original erschienen ist. In den USA kommt „Outside Looking In“ erst Anfang April in den Buchhandel.

Da hat T. C. Boyle, der Ende 2018 70 Jahre alt geworden ist, seine „Licht“-Lesetour, die ihn nächste Woche auch zu seiner einzigen Österreich-Lesung nach Innsbruck führt, bereits hinter sich.

Doch um Leary, der vom Wissenschafter zum Schamanen seines eigenen Kults wurde, geht es in „Das Licht“ nur am Rande. Wie in früheren Romanen – etwa „Willkommen in Wellville“, 1993, über den Cornflakes-Mogul John Harvey Kellogg oder „Dr. Sex“, 2005, über Sexualforscher Alfred C. Kinsey – mischt T. C. Boyle Historisches mit Erfundenem, betrachtet – wenn man so will – Beglaubigtes durch die Brille der Fiktion. Dafür hat Boyle diesmal den etwas verkopften Doktoranden Fitz und dessen Frau Joanie erfunden. Sie schaffen es in Learys „Inner Circle“, empfangen dessen „Sakrament“ – und lernen den Reiz der Entgrenzung kennen.

Im Grunde hat T. C. Boyle mit „Das Licht“ einen bisweilen exzessiv ausgestalteten Roman über die Dunkelheit nach dem Exzess geschrieben. Schonungslos wird geschildert, wie Verheißungen zum Fluch werden – und was auf dem Spiel steht, wenn aus dem Spiel knochentrockener Ernst wird.

Um im Bild zu bleiben: Wer zu verbissen ins Licht starrt, dem droht Blindheit. Und schon vor Leary hat so manche Lichtgestalt, die, die ihm blind folgten, ins Verderben geführt. Ganz aus der Welt scheint diese Gefahr in der Gegenwart nicht. Im Gegenteil.

Roman T. C. Boyle: Das Licht. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Hanser, 380 Seiten, 25,70 Euro.

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