Deutschlands Pkw-Maut: „Hat mehr Sprengkraft als der Brexit“
Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hält die deutsche Pkw-Maut für rechtens. In der Begründung dafür sieht der Innsbrucker Europarechtsexperte Walter Obwexer allerdings eine große Gefahr für die Europäische Integration.
Von Gabriele Starck
Innsbruck – Üblicherweise folgt der Europäische Gerichtshof der Empfehlung des Generalanwalts. Doch im Fall der deutschen Pkw-Maut zweifelt der Europarechtsexperte Walter Obwexer von der Uni Innsbruck daran. Er glaubt nicht, dass der EuGH die österreichische Klage wegen Diskriminierung von EU-Ausländern abweisen wird, wie das Nils Wahl gestern in Luxemburg den Richtern riet.
Die Begründung für Wahls Einschätzung: Der Umstand, dass Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen eine Steuerentlastung bei der deutschen Kfz-Steuer zugutekomme, die dem Mautbetrag entspreche, stelle „keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar“. Österreich habe hier den Begriff Diskriminierung grundlegend missverstanden.
Obwexer, der die Bundesregierung berät, hält dem entgegen: Es widerspreche der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, dass Steuerpflichtige eines Mitgliedsstaates nicht mit den Steuerpflichtigen eines anderen vergleichbar seien. Ginge diese Begründung für die angebliche EU-Konformität durch, wären „Tür und Tor geöffnet, um übers Steuerrecht die eigenen Bürger zu bevorzugen und andere zu benachteiligen“, sagt der Jurist. Und er geht noch einen Schritt weiter: „Das würde weit höhere Sprengkraft für den Zusammenhalt der EU mit sich bringen, als es der Brexit ist.“
Denn dann könnten die Mitgliedsstaaten erfinderisch werden und sich übers Ausland finanzieren lassen, warnt Obwexer: „Das kommt in einer großen Familie, wie es die EU ist, nicht gut an.“ Wenn etwa Österreich den Preis für die Vignette verdopple oder verdreifache und den Inländern über eine Steuererleichterung die Differenz erstatte, zahlten die Deutschen und die Niederländer, die nach Italien fahren, wesentlich mehr. „Das wird die Freundschaft und das Zusammenwachsen der europäischen Völker nicht fördern.“
So könnte ein Land beispielsweise auch mit Studiengebühren verfahren. „Oder Tirol hebt die Zweitwohnsitzabgabe ein und entlastet die Inländer über die Steuerpflicht“, nennt Obwexer weitere Beispiele.
Überraschend ist für ihn aber auch die Kritik des Generalanwalts, Österreich habe in manchen Punkten die Beweislast nicht erbracht. Etwa zur behaupteten Verletzung des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs. Hier habe Österreich, so der Generalanwalt, die Auswirkung auf den grenzüberschreitenden Handel nicht nachgewiesen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, die auf eine Behinderung des Marktzuganges hindeuten könnten. Doch laut Obwexer wären nicht-deutsche Kleinkurierdienste oder Personentransportdienste natürlich benachteiligt, verweist er auf die Stillhalteklausel bei der Lkw-Maut.
EU-konform wäre für Obwexer gewesen, wenn die Senkung der Kfz-Steuer die Maut nicht 1:1 ersetzt, sondern eine Ökologisierung damit verbunden hätte. Stattdessen müssen selbst die Halter der größten Dieselstinker nach Einführung der Maut laut Obwexer keinen Cent mehr zahlen. Und umweltfreundlichere Autos kämen künftig sogar günstiger als bisher.
Österreich bleibt jetzt nur noch abzuwarten, was der Gerichtshof spricht. Einfluss kann die Regierung laut Juristen nicht mehr nehmen. Und das Urteil ist auch nicht mehr bekämpfbar. „Das Einzige, was Österreich dann noch tun kann, ist, dasselbe zu tun“, meint der Experte. „Denn Österreich wird nicht zuschauen, wie Deutschland die Verkehrsinfrastruktur über Nutzer finanziert, die Inländer davon aber ausnimmt.“
Genau das hat Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) gestern bereits angekündigt. Er will das deutsche Modell für österreichische Zwecke prüfen. Wenn der EuGH erlaube, bei der deutschen Pkw-Maut ausländische Verkehrsteilnehmer stärker finanziell zu belasten und gleichzeitig deutsche Autofahrer zu entlasten, dann „sollte auch Österreich das tun“, sagte Hofer. Dieses Modell könne man auch auf andere Bereiche anwenden, nimmt Hofer Obwexers Ball auf.
Hofers deutscher Amtskollege, Andreas Scheuer von der CSU, hat erwartungsgemäß erleichtert auf die positive Einschätzung des EuGH-Generalanwalts zur Rechtmäßigkeit der Pkw-Maut reagiert. Dies sei ein nächster wichtiger Schritt, um das Maut-System im Oktober 2020 zum Laufen zu bringen. Die Nutzerfinanzierung durch alle, die die Straßen nutzten, sei richtig und schaffe Gerechtigkeit.
Das Urteil des EuGH wird frühestens in einigen Wochen, eher aber erst in einigen Monaten fallen.
Tiroler Reaktionen
LHStv. Ingrid Felipe: „Ich war nie ein Fan so einer Klage und habe diesen Ausgang eigentlich so auch erwartet. Die steuerliche Rückerstattung ist auch Österreich nicht unbekannt. Mir ist es nachvollziehbar, dass Deutschland Abgaben für die Autobahninfrastruktur braucht.“
BM Sepp Ritzer:
„Ebbs, Niederndorf und Erl werden ganz sicher unter der Maut zu leiden haben. Aber was willst du von Politikern erwarten, die bereits ihre eigenen Bürger bei der Heimfahrt vom Urlaub durch Grenzkontrollen schikanieren“, meint der Ebbser Bürgermeister.
BM Martin Krumschnabel:
Wenig Freude löst die Empfehlung des Generalanwalts auch in der Stadt Kufstein aus. Dort gehören kilometerlange Staus an Urlaubsrückreisetagen zum gewohnten Bild. Welche Auswirkungen eine PKW-Maut in Deutschland im Detail hat, lässt sich laut Bürgermeister Martin Krumschnabel noch nicht abschätzen ,“aber für uns wird es sicher schlechter.“ Immerhin gebe es jetzt einen Grund mehr, nicht auf die Autobahn zu fahren. „renzkontrollen und österreichische Vignette tun ohnedies bereits das ihre dazu, dass die Verkehrsbelasung hoch ist.“ Was Krumschnabel ärgert, ist, dass in Deutschland ganz offen kommunizierte Diskriminierung stattfinde. So fällt die EU immer mehr auseinander.
Deutsche Pkw-Maut ab spätestens 2020
Die Pkw-Maut soll auf Bundesstraßen und Autobahnen kassiert werden. Inländische Autofahrer sollen im Gegenzug für Mautzahlungen durch eine geringere Kfz-Steuer komplett entlastet werden. Fahrer aus dem Ausland sollen nur für Autobahnen zahlen.
Eine Vignette soll es nicht geben. Stattdessen sollen alle Mautzahler über das Nummernschild ihres Autos zu erkennen sein. Alle inländischen Autobesitzer müssen eine Jahresmaut zahlen, die vom Konto abgebucht wird. Sie richtet sich nach Größe und Umweltfreundlichkeit des Motors. Im Schnitt soll sie 67 Euro kosten, maximal 130 Euro.
Inländer sollen für Mautzahlungen durch eine geringere Kfz-Steuer komplett wieder entlastet werden. Bei besonders sauberen Autos (Euro 6) soll die Steuer sogar stärker sinken als der Mautbetrag. Für Autobesitzer aus dem Ausland soll es neben einer genauso berechneten Jahresmaut auch zwei Kurzzeittarife je nach Motoreigenschaften geben – für die Dauer von zehn Tagen oder zwei Monaten.
Die Maut soll über das Internet oder eine App gebucht werden können. Nach dem Erwerb wird das Kennzeichen freigeschaltet. Außerdem sollen Zahlstellen aufgebaut werden, bei denen die Maut manuell gebucht werden kann.