Kampf gegen das digitale Bergwerk: Nils Frahm im Wiener Konzerthaus

Wien (APA) - Nils Frahm ist eine Klasse für sich: Der deutsche Musiker, der sich zwischen zeitgenössischer Klassik und elektronischen Sounds...

Wien (APA) - Nils Frahm ist eine Klasse für sich: Der deutsche Musiker, der sich zwischen zeitgenössischer Klassik und elektronischen Sounds bewegt, hat eine Nische gefunden, in der ihm wenige das Wasser reichen können. Seit einigen Jahren eilt er von Erfolg zu Erfolg, sorgt für ausverkaufte Säle und Kopfnicken quer über Altersgrenzen hinweg. Am Mittwochabend bewies er sein Talent im Wiener Konzerthaus.

Erst vor gut einem Jahr hat er hier sein „richtiges“ Wien-Debüt abgeliefert, der Nachschlag wurde vom Publikum aber offenbar sehnlichst erwartet. Von einer minimalistischen, aber prägnant eingesetzten Lichtshow unterstützt, fokussierte sich der Pianist und Komponist auf sein jüngstes Material vom Album „All Melody“ (2018), auf dem er sich abwechslungsreich wie selten zuvor gibt. Filigrane Läufe werden darauf von aufwendigen Choreinsätzen konterkariert, der Zug zum tanzbaren Beat von einer Melodieseligkeit begleitet, was in der Live-Umsetzung die Bestuhlung des Saals zum einengenden Manko machen sollte.

Es ist kein Wunder, dass diese Stücke Ergebnis des bisher aufwendigsten Projekts von Frahm sind. „Dabei war das ja eigentlich nur der teilbare Erfolg“, erklärte er vor dem Auftritt im APA-Interview. Immerhin hat er dafür das Studio 3 des Berliner Funkhauses aufwendig adaptieren lassen. Seine neue Spielwiese, in der auch die zwei Folge-EPs „Encores 1“ und „Encores 2“ mit Material aus den ursprünglichen Sessions entstanden sind. „Das war für mich eine schöne Idee, um dort noch mehr Zeit zu verbringen. Oftmals ist es ja spannender, neue Dinge anzufangen, als etwas zu Ende zu bringen. Aber das hatte nun auch eine eigene Faszination“, schmunzelte er.

Grundsätzlich sieht der 36-Jährige in der heutigen Zeit zu wenig Möglichkeiten für Musiker, sich in der entsprechenden Umgebung wirklich auszutoben. „Es braucht Labore und Experimentierstätten“, betonte Frahm. Über sein Studio meinte er: „Vom Gefühl her könnte dort auch Tom Waits eine Platte aufnehmen und würde sich nicht langweilen.“ Major-Labels würden diese Aufgabe immer seltener wahrnehmen, neue Protagonisten wie Spotify oder Apple Music aber auch nicht. „Die Musikindustrie scheint sich komplett zu virtualisieren. Eigentlich ist Musik aber genauso equipmentintensiv wie Filmproduktion. Wer aber stellt diese Infrastruktur?“

Gerade bei seinen Konzerten wird dieser Zugang deutlich: Was sich da auf der Bühne an Gerätschaften türmt, ist schon beeindruckend. Mit raschem Schritt huscht Frahm dann zwischen seinen zwei Schaltzentralen hin und her, wendet dem Publikum dabei meist den Rücken zu, gewährt so aber Einblick in seine Welt. E-Piano, Flügel, Harmonium sowie zig Synthesizer bilden den Kern, wenn Frahm sich entweder bedächtig in elegische Stücke wie „My Friend the Forest“ einfühlt oder zur großen, durchaus clubtauglichen Geste mit knackigem Beat ausholt.

Und doch hat es auch bei ihm klein begonnen, wie bei vielen Künstlern des digitalen Zeitalters: das viel zitierte Schlafzimmer-Studio. „Das gibt es ja seit den 80er-Jahren, als irgendwelche Kids zuhause elektronisch Musik gemacht haben und damit Nummer-eins-Hits lieferten. Heute sind es nicht Sampler und Mischpult, sondern ein Laptop, der dafür notwendig ist. Aber die Arbeitsweise ist damals entstanden.“ Nicht zuletzt dank Streaming-Plattformen ließe sich ein riesiges Publikum erreichen. „Jeder Schuljunge kann auf diese Weise Millionär werden“, formulierte Frahm überspitzt. „Aber es entsteht bei diesen Versuchen auch ganz viel Müll.“

Dabei geht er nicht mit den Künstlern, sondern den Mechanismen dahinter scharf ins Gericht. „Es ist wichtig, dass man aufschreit und protestiert. Sonst werden wir am Ende alle, wie Christoph Schlingensief sagte, zu Wurst gemacht. Musiker dürfen aber nicht nur Leberwurst sein in diesen riesigen Strukturen. Wenn wir glauben, die Welt der Major Labels war grausam, dann lass uns mal abwarten, wie die Welt sich anfühlt, wenn Spotify, Apple Music und Amazon Play die einzigen Labels sind, die die Musik beherrschen.“

Zudem sei man als Musiker mittlerweile einem „Optimierungszwang“ unterworfen, glaubt der gebürtige Hamburger. „Das heißt: Du steht auf, nimmst keine Drogen, arbeitest deine E-Mails ab, machst dein Social-Media-Programm und gehst joggen. Natürlich ernährst du dich gesund und belässt deine Experimente im Minimalbereich, damit du arbeiten kannst. Du bist also ständig nur am Rackern“, echauffierte sich Frahm und warf nach: „Bullshit! Das ist der größte Scheiß! Das zerstört jede künstlerische Ader. Ich muss aktiv dagegen protestieren, das ist mein Auftrag. Das ist ja Ausbeutung, wir sind im digitalen Bergwerk. Musik ist für mich eine kritische Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie wir leben.“

In dieser Hinsicht bringe ihm Erfolg auch jene Freiheit, um sich - so gut es geht - gegen diese Maschinerie zu wehren. Da blitzte auch eine gehörige Portion Selbstbewusstsein durch, als Frahm sagt: „Eine meiner Antriebsfedern ist, so gut zu arbeiten, dass der ganze andere Scheiß daneben noch beschissener aussieht. Eine sehr ausgeklügelte Form der Rache“, lachte der Musiker. Wie ernst es ihm mit dieser Behauptung ist, sei einmal dahingestellt. Festhalten muss man dennoch: Aktuell läuft das Werkl bei Frahm wie geschmiert. Die Besucher im Konzerthaus quittierten seine zweieinhalbstündige Darbietung jedenfalls mit ausgiebigem Applaus und Standing Ovations. Ein weiterer Nachschlag ist wohl nur eine Frage der Zeit.

(S E R V I C E - www.nilsfrahm.com)