Letzte Folge im „El Chapo“-Prozess: Schuldspruch für den Drogenboss
Zwei Jahre liegt die Auslieferung von Joaquín „El Chapo“ Guzmán an die USA zurück. Nach Verhandlung mit Massen von Beweismaterial und tagelangen Beratungen der Jury fällt das Urteil: Der Drogenboss ist in allen Anklagepunkten schuldig und muss lebenslang hinter Gitter.
New York — Der mexikanische Drogenboss Joaquin „El Chapo" Guzman ist am Dienstag in seinem Strafprozess in New York schuldig gesprochen worden. Über fast drei Monate hat die Staatsanwaltschaft dort en detail veranschaulicht, wie das mexikanische Sinaloa-Kartell tonnenweise Drogen in die USA schmuggelte und mit oftmals grausigen Methoden seine Macht zementierte.
Die Beweislast muss die zwölf Geschworenen geradezu erschlagen haben. Sie hörten von den frühen Tagen des Kartells in den 1980er-Jahren und wie Guzman den Drogenschmuggel revolutionierte. Staatsanwälte legten dar, wie er Kokain, Heroin, Metamphetamin und Marihuana in größere US-Städte liefern ließ. Im Einsatz waren demnach Autos, Lastwagen, Züge, Flugzeuge, Hubschrauber, Fischkutter, U-Boote und geheime Tunnel an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Selbst die Lieferung von 90 Tonnen Kokain auf einem Öltanker war laut Zeugen einmal im Gespräch.
Besonders erdrückend waren die Mitschnitte von Telefonaten, in denen Guzman etwa bei Verhandlungen über eine Lieferung von 20 Kilo Heroin nach Chicago zu hören ist. Aufgezeichnet hatte sie Pedro Flores, der mit seinem Zwillingsbruder Margarito lange mit dem Sinaloa-Kartell arbeitete, 2008 aber ausstieg und US-Drogenfahnder mit Hinweisen versorgte. Zuvor hätten sie für das Kartell Kokain im Wert von 800 Millionen Dollar (700 Mio. Euro) bewegt, sagte Flores. 56 Zeugen rief die Staatsanwaltschaft auf - die Anwälte Guzmans nur einen einzigen. Die Verteidigung war nach 30 Minuten beendet.
Von Privatjets, Gesichtsoperationen und filmreifen Morden
Auch blutige Details blieben der Jury nicht erspart. Ex-Komplizen erzählten im Zeugenstand, wie Guzman seine Konkurrenten ermorden ließ oder selbst Hand anlegte. Ein Mann sei getötet worden, weil er sich einmal weigerte, Guzman die Hand zu reichen. Ein Auftragskiller soll in einer Villa nahe der US-Grenze in einem schalldichten Raum gemordet haben, der sich dank eines Abflusses am Boden anschließend leicht säubern ließ. Auch Gesichtsoperationen, um Fahndern zu entgehen, waren unter Schmugglern nicht ungewöhnlich.
„Er hatte vier Privatjets. Er hatte Häuser an jedem Strand. Er hatte eine Ranch in jedem Bundesstaat", fasste ein Zeuge den luxuriösen Lebensstil Guzmans in den 1990er-Jahren zusammen. Dazu kam die „Chapito", eine nach ihm benannte Yacht vor der Küste Acapulcos, und ein großes Anwesen nahe Guadalajara mit Tennisplätzen, Pools und einem Zoo, in dem Besucher von einem Zug aus Krokodile und Panther bestaunen konnten.
Touristen standen Schlange, um Platz im Saal zu ergattern
Guzman saß meist regungslos im Saal, während Dolmetscher ihm das Gesagte auf Spanisch übersetzten. Nur wenn Emma Coronel erschien - anfangs hatte sie sogar ihre gemeinsamen Zwillingstöchter mitgebracht - lächelte Guzmán und winkte ihr. Per Handzeichen grüßte er auch Schauspieler Alejandro Edda, der Guzmán in der Serie „Narcos: Mexico" spielt und der anreiste, um den echten Drogenboss einmal live zu erleben. Selbst Touristen saßen an manchen Tagen mit im Gericht. Gegen Ende versammelten sich die ersten Beobachter gegen 2 Uhr am Gerichtsgebäude, um gut sieben Stunden später einen Platz im Saal zu ergattern.
Bis zu den Schlussplädoyers hatte der Prozess das Zeug zum TV-Drama. In 14 Kartons brachte die Staatsanwaltschaft zuletzt drei AK-47-Gewehre, Bazookas und eine beschusshemmende Weste mit, die in Ermittlungen sichergestellt wurden. Außerdem mit dabei: eine Konservendose Chilischoten. In Dosen dieser Art hatte Guzman teils Kokain schmuggeln und sie mit Sand befüllen lassen, damit das zu leichte Gewicht beim Import nicht auffällt.
Fast 14 Milliarden Dollar (12,3 Mrd. Euro) verdiente Guzman in seinen bald 30 Jahren im Drogenbusiness laut Staatsanwaltschaft. Richter Brian Cogan muss das Strafmaß offiziell noch verkünden. Aber der Schuldspruch für Guzmans „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung" schreibt lebenslange Haft vor, einen Antrag auf vorzeitige Entlassung kann er nicht stellen. Ein Gefängnisausbruch, wie er Guzman 2001 und erneut 2015 in Mexiko gelang, würde in den USA an ein Wunder grenzen.
Drogenkrieg in Mexiko geht weiter
In Mexiko, wo Guzmán in Volksliedern als Held besungen wird, tobt der Drogenkrieg auch ohne „El Chapo" weiter. Die Kartelle Juarez, Los Zetas und Jalisco Nueva Generacion beherrschen weite Gebiete des Landes. Schmiergelder an mexikanische Drogenfahnder, schlecht bezahlte Polizisten und selbst hochrangige Politiker helfen ihnen, Drogendeals im großen Stil abzuwickeln. Guzman, hieß es im Prozess, habe den früheren Präsidenten Enrique Pena Nieto mit 100 Millionen Dollar (88 Mio. Euro) bestochen, um sich vor Strafverfolgern zu schützen.
Im Sinaloa-Kartell ist nach Guzmans Festnahme im Jänner 2016 bereits ein Nachfolger aufgerückt. Er heißt Ismael „El Mayo" Zambada und hat anders als Guzman noch nie das Innere einer Gefängniszelle gesehen. Hinweise, die zu seiner Festnahme führen, belohnen die USA mit bis zu fünf Millionen Dollar (4,4 Mio. Euro).(APA/dpa)