Der liebste Feind ist Freund geworden
Thomas Bernhards Tod jährt sich am nächsten Dienstag zum dreißigsten Mal. Inzwischen sonnt sich auch das offizielle Österreich im Nachruhm des einstigen „Nestbeschmutzers“. Eine Aufforderung zum Wiederlesen.
Innsbruck –Herbst 1988. Fünfzig Jahre nach dem „Anschluss“ Österreichs bittet Burg-Direktor Claus Peymann den wohl berühmtesten und fraglos berüchtigtsten Schriftsteller des Landes, Thomas Bernhard, um ein Stück zum „Bedenkjahr“. In „Heldenplatz“ spuken die Geister der NS-Zeit durch das Österreich der Gegenwart. „Heldenplatz“ regt auf, rüttelt wach. Die Kronenzeitung ortet „Österreich-Besudelung“; Peter Sichrovsky, später FPÖ-Europa-Abgeordneter, forderte im Standard Theatergänger auf, das Stück zu stürmen; Heinz-Christian Strache, späterer FPÖ-Vizekanzler, ist bemüht, der Aufforderung nachzukommen. Von der Empore aus brüllen er und andere junge Männer am 4. November 1988 zornig in Richtung Bühne. Vor dem Theater wird Mist abgeladen. Die Premiere findet trotzdem statt. „Heldenplatz“ wird zum Erfolg. Auch Bernhard wird bejubelt. Er verneigt sich, winkt, lächelt. Es ist sein letzter öffentlicher Auftritt: Drei Monate später, am 12. Februar 1989, stirbt Thomas Bernhard im Alter von 58 Jahren in Gmunden.
In seinem Testament verbat er sich jede Vereinnahmung durch den Staat und untersagte bis zum Ablauf des Urheberrechts jegliche Aufführung und Publikation seiner Werke in Österreich. Rechtlich bindend war das Dokument nie. Einmal geschlossene Vereinbarungen lassen sich nicht einseitig lösen. Trotzdem wird Bernhards letzter Wille bemüht, wenn Nachlassverwalter Peter Fabian, Halbbruder und behandelnder Arzt des Autors, oder der Suhrkamp-Verlag, der sich vorbildlich um Bernhards Texte kümmert, gegen ungewünschte Projekte vorgehen. Ist das der Fall, sorgt Thomas Bernhard auch Jahrzehnte nach seinem Tod für Schlagzeilen. Zumeist hat selbst das offizielle Österreich inzwischen gelernt, sich im Nachruhm des einstigen „Nestbeschmutzers“ zu sonnen: Der liebste Feind ist Freund geworden.
Für Aufsehen sorgte Thomas Bernhard, der heute vor 88 Jahren im niederländischen Heerlen geboren wurde, weil seine Mutter der Schmach einer unehelichen Niederkunft in Österreich entkommen wollte, schon lange vor „Heldenplatz“. Sein Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“, das gemäß Regieanweisung in „absoluter Finsternis“ enden sollte, führte bei seiner Uraufführung 1972 in Salzburg zum „Notlichtskandal“; der Roman „Holzfällen“ trug 1984 die „Erregung“ bereits im Untertitel – und hatte Klagen derer zur Folge, die sich zwischen den Zeilen wiederzuerkennen glaubten. Das Buch wurde beschlagnahmt. Bernhard verlangte den Auslieferungsstopp seiner Werke in Österreich. Schon 1968 gipfelte die Verleihung des Kleinen Österreichischen Staatspreises an Bernhard im Eklat: Der Autor sinnierte in seiner Dankesrede über ein „zur Infamie und zur Geistesschwäche“ verurteiltes Volk, Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic verließ tobend den Saal.
Bis heute lenkt die Beschwörung des Berserkers Bernhard davon ab, dass es daneben auch den feinsinnigen und hochmusikalischen Ausdruckskünstler gleichen Namens gibt. Beinahe jeder seiner Texte – vom ersten Roman „Frost“ über den wunderbaren „Stimmenimitator“ bis zum Briefwechsel mit seinem Verleger Siegfried Unseld – ist lieferbar. Man sollte sie (wieder-)lesen: Es gibt darin viel mehr zu entdecken, als Suaden und Skandale von begrenzter Halbwertszeit. (jole)