Blick von Außen

100 Jahre Frauenwahlrecht

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Das Stimmrecht war dem Kampf der Arbeiterinnen und auch den bürgerlichen Frauen zu verdanken. Doch die Abwehrhaltung der Männerwelt sorgt bis heute für eine anhaltende Schieflage.

Von Sieglinde Rosenberger

Am 16. Februar feier­t Österreich den 100. Geburtstag des Frauen­wahlrechts. Gemeinsam mit der Gründung der Republik beschlossen, durften Frauen sich bei der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung im Jahre 1919 nach dem allgemeinen, gleichen und freien Wahlrecht erstmals auch beteiligen. Und sie konnten als Abgeordnet­e gewählt werden. Das aktive und passive Wahlrecht löste Frauen als stimmloses Anhängsel von Männern ab und machte sie zum gleichberechtigten Teil des politischen Wir.

Wie kam es überhaupt zum Stimmrecht und wie hat es sich im zurückliegenden Jahrhundert entwickelt? Wahlrecht­e fallen nicht in den Schoß, sie kommen stets erst nach Kämpfen. In Österreich war es die Frauenbewegung, insbesondere die Arbeiterinnen aber auch bürgerliche Frauen, der wir das Stimmrecht verdanken. Das Stimmrecht war zu keiner Zeit eine nur für sich stehende Forderung nach Beteiligung, sondern sie war stets auch instrumentell, zweckhaft verlangt. Es verkörperte den Ruf nach halbwegs erträglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutzbestimmungen sowie nach Zugang zu allen Berufen und Bildungswegen. Erst das gleiche Stimmrecht würde Reformen in der Sozial- und Familiengesetzgebung erlauben, so die Überzeugung der Frauenbewegung. In Großbritannien kämpften die Suffragetten für das Ziel nach mehr sozialer Gerechtigkeit und hatten Gefängnisstrafen, Kündigungen und Schmähungen zu erleiden. Die Wahlrechtsforderung galt in der Geschichte immer als die patriarchale Gesellschafts- und Familienordnung gefährdend und wurde folglich von Männern und konservativen Parteien bekämpft.

Das Jahr 1918, der Krieg war verloren, zeigte sich auch hierzulande als Bedingung für beginnende demokratische Verhältnisse. Zudem gab der internationale Trend auf dem Feld des Frauenwahlrechts Rückenwind – die skandinavischen Länder (Finnland, Norwegen, Dänemark) hatten bereits das Frauenwahlrecht eingeführt, Großbritannien und Deutschland verabschiedeten ebenfalls Wahlgesetze ohne Unterschied des Geschlechts.

Neben der europaweit eher günstigen Stimmung bedurfte es in Österreich der Strategie des Junktims als Voraussetzung für einen Mehrheitsbeschluss zum gleichen Wahlrecht. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei konnte – nach dem 1907 das allgemeine Wahlrecht lediglich für Männer beschlossen worden war und die Arbeiterinnenbewegung enttäuscht, aber kampfesgewiss zurückblieb – auf das Frauenstimmrecht nicht verzichten. Die Christlichsozialen, lange Zeit die Hüter der patriarchalen bürgerlichen respektive bäuerlichen Familie, äußerten schwere machtpolitische Bedenken über die möglichen Konsequenzen des Frauenwahlrechts. Der Ausweg aus der Pattstellung zwischen den beiden Lagern lag im Kompromiss über ein Maßnahmenpaket. Sie einigten sich auf die Einführung des Stimmrechts und verknüpften dieses mit der Wahlpflicht für alle. Konkret wurden die Länder ermächtigt, eine Wahlpflicht zu verordnen. Da das Wählen nun zur Pflicht mutierte, konnten sich die Christlichsozialen sicher sein, dass nicht nur die politisierten Sozialdemokratinnen wählen würden, sondern auch die nicht politisierten Konservativen. Die Machtbalance schien auf diesem Wege gewahrt und das Wahlrecht für Frauen bekam eine Chance. Rückblickend interessant ist, wie lange der Arm der Pflichterfüllung reichte: In Tirol galt bis ins Jahr 2003 und in Vorarlberg bis 2004 die Wahlpflicht bei Landtagswahlen.

Sind Frauen und Männer in den letzten 100 Jahren mit dem Wahlrecht unterschiedlich umgegangen? Um darauf eine adäquate Antwort zu geben, ist zwischen aktivem und passivem Wahlrecht, zwischen dem Recht zu wählen und gewählt zu werden, zu unterscheiden.

Aktives Wahlrecht: Beteiligung und Verhalten

Das aktive Wahlrecht der Frauen ähnelt, wenn wir als Indikator die Wahlbeteiligung heranziehen, jenem der Männer. Es differiert aber hinsichtlich Wahlverhalten. Bei den Wahlen 1919 haben Frauen ähnlich häufig wie Männer gewählt und sich auch für ähnliche Parteien entschieden. Dies wissen wir aufgrund von blauen und ros­a Stimmkuverts. Das Wahlverhalten nahm aber dann rasch eine geschlechtsspezifische Gestalt an. Wir sprechen hier vom so genannten Gender Gap. In der Ersten Republik (letzte Nationalratswahl 1930) wählten Frauen eher konservative Parteien als Männer, in der Zweiten Republik ändert sich dies. Die Nationalratswahlen im Jahre 1975 zeigen ein deutlich geschlechtsspezifisches Wahlverhalten – Fraue­n votierten stärker als Männer für die SPÖ bzw. Männer votierten stärker als Frauen für die ÖVP. Erklärt wird dieses divergierende Verhalten mit unterschiedlichen Interessen und Betroffenheit bei mittlerweile stark diskutierten, frauen- und familien­politischen Maßnahmen – Stichwort Entkriminalisierung der Abtreibung, Familienrechts- und Eherechtsreformen. Nun betritt die neue Frauenbewegung die politische Bühne und kämpft für Rechte mit dem aufrüttelnden Slogan „Das Persönliche ist politisch“.

Geschlechtsspezifisches Wahlverhalten ist bis heute ein Charakteristikum der Wahlergebnisse. Um es grob auf den Punkt zu bringen: Frauen wählen eher Mitte-links-Parteien, Männer tendieren stärker zu Mitte-rechts

rechts­extreme Parteie­n.

Passives Wahlrecht: Repräsentation

Viel prägnanter aber sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede im passiven Wahlrecht. Die Repräsentation von Frauen und Männern in Parlamenten und Regierungen gleicht einer großen Schieflage. Im Jahre 1919 betrug der Anteil der weiblichen Abgeordneten 5,7 Prozent in der Konstituierenden Nationalversammlung (sieben Abgeordnete der Sozialdemokratischen und eine Abgeordnete der Christlichsozialen Fraktion). Dieser Premierenanteil wurd­e erst im Jahre 1975, also 56 Jahre später, übersprungen. Vor dem Hintergrund dieser zähen Machtverhältnisse zugunsten der Männer kam es zu Diskussionen über Quotenregelungen. Faktisch aber existieren bis heute beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien sowie zwischen den politischen Ebenen. Die europäische und die nationale Ebene sind deutlich frauenfreundlicher als die Länder- oder gar die Gemeindeebene. So gibt es überraschenderweise dort, wo die Politik dem Leben am nächsten ist, nämlich auf der lokalen Ebene, ca. 92 Prozent Bürgermeister und nur 8 Prozent Bürgermeisterinnen.

Passives Wahlrecht: Repräsentation

Zum einen mag es, insbesondere für junge Menschen, schwer nachvollziehbar sein, dass in Österreich vor 1919, in der Schweiz vor 1971 und in Liechtenstein vor 1984 die Bürgerinnen stimmlos waren. Mehr noch, wir stellen oft entrüstet fest, dass etwa in Saudi-Arabien Frauen bis vor wenigen Jahren selbst bei lokalen Wahlen kein Wahlrecht besessen haben. Dabei wird gerne übersehen, dass auch hier und heute eine ähnlich exkludierende Logik Realität ist. Die Gruppe der Nicht-Wahlberechtigten in unserer repräsentativ-demokratischen Gesellschaft steigt wieder. So besitzt etwa knapp 20 Prozent der dauerhaft hier lebenden Wohnbevölkerung kein Stimmrecht – in Tirol 15,5 Prozent. Über die Rechte und Pflichten dieser nicht Stimmbefähigten wird bei Wahlen entschieden, oft wird gegen sie politisiert und gehandelt. Der Ausschluss aus der politischen Gemeinschaft im 21. Jahrhundert ist also ähnlich brisant wie er im 20. Jahrhundert war. Zwar nicht auf der Grundlag­e der Geschlechtszugehörigkeit, sondern auf jener des Geburtsortlandes. Denn in Zeiten wachsender Mobilität ist immer noch nicht der Wohnsitz, sondern die von Generation zu Generation weiter vererbte Staatsbürgerschaft das entscheidende Kriterium für politische Rechte. Das Demokratiedefizit bleibt also virulent – eine quantitativ relevante Gruppe kann am Auswahlprozess des politischen Personals nicht teilnehmen, sie gehört tatsächlich nicht dazu, sondern über und nicht selten gegen sie wird entschieden.

Zur Person

Univ.Prof. Sieglinde Rosenberger ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien

sieglinde.rosenberger@univie.ac.at

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