Aare 2019

Markus Waldner: „So machen wir den Sport kaputt“

FIS-Renndirektor Markus Waldner.
© gepa grebien

Gewohnt offenherzig nimmt sich FIS-Renndirektor Markus Waldner im TT-Interview der Kritik von Bode Miller an, blickt auf die Zukunft der Herren-Abfahrt voraus und stellt die Klassiker über WM-Gold.

Herr Waldner, für die kommenden Tage kündigen sich in Aare schwierigere Wetterbedingungen an. Wie ernst ist die Lage?

Markus Waldner: Wenn das stimmt, was die Meteorologen sagen, dann haben wir am Samstag keine Chance auf die Herren-Abfahrt. Wir machen aber ganz normal mit dem Programm weiter, sind flexibel. Die späteste Startzeit ist um 14 Uhr.

Laut WM-Meteorologin Pia Hultgren könnte erst Mittwoch Besserung folgen ...

Waldner: Wir stellen uns auf schwierige Verhältnisse ein. Wenn der Wind so stark ist, haben wir auch unten große Probleme. Dann können wir nicht einmal mit der Gondel fahren. Und wie wir beim Weltcupfinale letztes Jahr gesehen haben, kann man nicht einmal einen Slalom fahren, wenn der Wind zu stark ist.

Gegenwind gab es kürzlich auch von US-Legende Bode Miller, der beklagte, dass die FIS-Athletensprecher zu wenig gehört werden. Ähnliches hatte auch Hannes Reichelt schon beklagt ...

Waldner: Ich höre immer nur: Die FIS muss, die FIS muss! Aber die FIS, das sind die großen Skiverbände. Die entscheiden alles. Das ist eine Demokratie. Hannes Reichelt lässt es als Athletensprecher sein, weil er die Nase voll hat. Aber er hat nicht verstanden, welchen Weg er einschlagen muss. Reichelt wollte zum Beispiel eine neue Startreihenfolge in den Speed-Rennen. Aber das geht komplett gegen die Marketing-Strategien, das hat sein eigener Präsident (Peter Schröcksnadel, Anm.) vorgeschlagen! Und er ist dagegen. Da fehlt die interne Kommunikation in seinem Verband. Er als Österreicher muss zu Sportdirektor Hans Pum gehen, der sitzt im Exekutivkomitee und kann das umsetzen. Das ist Politik. Aber das hat ihm niemand gesagt. Er war beim FIS-Kongress, hat fünf Anträge eingebracht. Und dann hat er von allen eine auf den Deckel bekommen.

FIS-Präsident Gianfranco Kasper meinte, Athletensprecher würden nur für sich sprechen. Stimmt das?

Waldner: Nein. Wir haben sehr viele offene Gespräche mit den Top 20 im Weltcup. Es zeigt, dass Meinungen sehr weit auseinander gehen.

Die Ski-Saison dauert schon länger. Ist eine solche WM für Ihr Team anstrengender als eine Kitzbühel-Woche?

Waldner: Gar nicht. Wir haben bei den Klassikern wie Wengen oder Kitzbühel zehnmal mehr Druck. Das hier ist auch ein Highlight, aber das ist schwierig zu koordinieren wegen der gleichzeitigen Damen-Rennen. Vom Druck her und vom Umfeld – da sind wir ganz anderes gewohnt.

Das Zuschaueraufkommen ist bisher ja vergleichsweise sehr bescheiden.

Waldner: Das ist dasselbe wie in Südkorea (Olympia 2018, Anm.). Das Rundherum baut den Druck auf.

Sie meinen 40.000 Zuschauer bei der Streif-Abfahrt?

Waldner: Die Klassiker funktionieren ganz anders. Das merke ich auch, wenn ich mit Athleten wie Dominik Paris rede. Die fahren hier locker runter. Die haben so extremen Druck in Wengen, Kitzbühel, Bormio hinter sich. Wenn du das erlebst, dann fährst du hier bei der WM spazieren.

WM-Gold hat aber für viele die höchste Bedeutung.

Waldner: Natürlich hat Paris mit Super-G-Gold Freude. Das nimmt er mit, aber er gewinnt lieber in Kitzbühel. Das spürst du bei anderen auch. Die Klassiker zu gewinnen, ist für alle das Ziel, das verändert wirklich dein Leben.

Nach dem Flug-Chaos sollen Stimmen laut geworden sein, die eine Verlegung des Super-G (Mittwoch, Anm.) forderten, weil das Material erst am Dienstag ankam. Wie sehen Sie das?

Waldner: Es hat genauso gepasst, das war ein faires Rennen. Die Leute waren sehr gut vorbereitet, hatten alle das Material. Sie konnte zwei komplette Nächte gut schlafen. Ich habe das Programm so angepasst, dass alle abschalten konnten. Die Franzosen und Italiener, die später anreisten, waren dann sowieso unter den Besten.

Ein sehr kontroverses Thema ist jenes der Abfahrten, die Ihrer Meinung nach wieder technisch anspruchsvoller werden sollen. Dominik Paris spricht sich dafür, Aksel Lund Svindal dagegen aus. Wohin führt der Weg?

Waldner: Extreme Sachen sind nie gut. Weder eine extrem ruppige Piste noch eine Autobahn, die von oben bis unten gleich ist. Das Problem ist: Manche sind frisch und jung wie Paris. Die ältere Generation ist schon verbraucht. Aber interessant ist die Abfahrt dann, wenn mehr technische Passagen sowie Bewegung drinnen sind. Wo man mit Köpfchen fahren muss. Das vertritt auch ein Vincent Kriechmayr. Unruhige Passagen zeigen die Klasse des Athleten. Das brauchen wir. Wenn ich auf einer Autobahn fahre, sieht das bei jedem gleich aus. Wir machen unseren Sport damit kaputt.

Bildet Kitzbühel mit der Streif eine Ausnahme?

Waldner: Viele vergessen, dass wir heuer Glück hatten, dass das Rennen überhaupt stattgefunden hat nach fast drei Metern Neuschnee. Wir mussten mit extrem viel Wasser vereisen. Bei Max Franz (Fersenbruch, Anm.) sieht man, wie viele Kräfte auf der harten Piste von unten wirkten. Das große Problem war dabei aber der Skischuh. So etwas können wir nicht regulieren.

Eine Frage noch zu Aare: Wie blicken Sie vom Wetter her der Kandidatur der Region mit Stockholm für Olympia 2026 entgegen?

Waldner: Südlich des Alpenhauptkamms ist es leichter (Mitbewerber Mailand

Cortina d’Ampezzo, Anm.). Aber der Klimawandel ist überall spürbar. Es ist nicht alles komplett anders, aber die Winter sind viel extremer geworden. Es schwankt alles viel mehr. Früher war das nur in Südamerika der Fall, da hast du vier Jahreszeiten am Tag. Jetzt ist das auch bei uns so geworden.

Das Gespräch führte Roman Stelzl

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