Schauspielhaus Wien setzt auf Sci-Fi: „Sommer“ als Weltraumballett

Wien (APA) - „Es geht in diesem Text um alles“, lobte der deutsche Autor Wolfram Lotz im Vorjahr das Siegerstück des Hans-Gratzer-Stipendium...

Wien (APA) - „Es geht in diesem Text um alles“, lobte der deutsche Autor Wolfram Lotz im Vorjahr das Siegerstück des Hans-Gratzer-Stipendiums, „Sommer“ des 1992 geborenen deutschen Videokünstlers und Bühnenbildners Sean Keller. Die gestrige Uraufführung durch Elsa-Sophie Jach am Wiener Schauspielhaus zeigte: Genau dort liegt auch sein Problem.

Stephan Weber hat eine Bühne entworfen, die als Kulisse eines Low-Budget-Science-Fiction-Films ebenso durchgehen kann wie als 60er-Jahr-Disco. Eine wabenartige Struktur überdacht eine Bar, dazu kommen ein Spielautomat mit Greifer-Arm und etwas Kunstrasen, sowie ein transparenter Kubus. In ihm tanzt Esther Balfe einen einsamen Tanz. Verloren, verzweifelt, autistisch, apathisch? Von allem ein bisschen. Balfe hat auch ihren vier Kolleginnen choreografische Orientierung geboten, denn was sich hier rund 90 Minuten abspielt, ist nicht nur streng strukturiert, sondern wirkt immer wieder ganz buchstäblich wie ein Weltraumballett.

Nehle Breer, Vera von Gunten und Anna Rot sind in weinroten Overalls ein Chor, der auch ein Gastspiel auf dem Raumschiff Enterprise geben könnte. Gemeinsam machen sie Front gegen Neuzugang Monti (Sophia Löffler), der sich erst mühsam einfinden muss und möglicherweise ein Spion von „da oben“ sein könnte. Mühsam versucht man sich einen Reim auf das Geschehen zu machen: Nach Anstieg der Weltmeere, Freisetzung großer Mengen gefrorenen Methans und nuklearen Katastrophen ist die gute alte Erde nur noch eine Art Rohstofflieferant für den großen Rest der Menschheit, der sich in den Welten des Alls eine neue Existenz aufgebaut hat.

Die Zurückgebliebenen üben sich zwar in eigenartigen Ritualen, doch wirklich schlecht scheint es ihnen nicht zu gehen. Und trotz streng reglementierten Lebens, in dem alle 20 Jahre auf kompletten Neuanfang gesetzt wird, scheint ein gewisser Rest an subversiver Kraft weiterhin zu existieren. Monti sieht sich plötzlich als Komplize einer seltsamen, verzweifelten Verschwörung umworben. Und der Zuschauer grübelt, ob uns dieser Abend nun mehr über unsere Gegenwart oder unsere Zukunft erzählen soll. Und wie sich die Off-Stimme eines Filmregisseurs (Dieter Mack) in das Geschehen integrieren lässt.

Elsa-Sophie Jach macht aus der Aufführung eine raffinierte, doch rasch ermüdende Möbiusschleife: Viel Text und viel Struktur führen in eleganten Drehbewegungen immer wieder an den Ausgangspunkt zurück. Die Zukunft der Menschheit als Hamsterrad, regelmäßig geölt von Captain Sisyphus. Keine schöne Aussichten für den „Sommer“.

(S E R V I C E - „Sommer“ von Sean Keller, Uraufführung, Regie: Elsa-Sophie Jach, Bühne: Stephan Weber, Kostüme: Giovanna Bolliger, Musik: Max Kühn. Mit Esther Balfe, Nehle Breer, Vera von Gunten, Sophia Löffler, Anna Rot. Schauspielhaus Wien, Nächste Vorstellungen: 12.-15., 20.-23.2., Karten: 01 / 317 01 01 / 18, www.schauspielhaus.at)

(B I L D A V I S O – Pressebilder stehen unter https://www.schauspielhaus.at/presse/media zum Download bereit.)