Kitz-Sturzopfer Albrecht: „Kann nur dankbar sein, wie gut es mir geht“
Vor zehn Jahren lag Daniel Albrecht (SUI) nach dem Kitzbühel-Sturz drei Wochen im Koma – nun blickt der Weltmeister von Aare 2007 aus der Ferne zurück.
Herr Albrecht, bei der WM 2007 haben Sie Gold (Kombination), Silber (Riesentorlauf) und Bronze (Team) gewonnen – wenn Sie die Bilder der WM heuer sehen, welche Erinnerungen werden da wach?
Daniel Albrecht: Kälte! (lacht). Bei den Speed-Rennen und bei der Kombi mussten wir unser Gesicht abkleben, im Rennen waren es dann nur noch minus 20 Grad. Also nicht mehr so kalt.
Im Nachhinein bleibt WM-Gold der größte Erfolg Ihrer Karriere?
Albrecht: Schwierig zu sagen. Die WM gehört zu den größten Rennen, das ist schon richtig. Aber den Riesentorlauf, den ich in Sölden gewinnen konnte, der war schon sehr schön. Auch das Comeback 2010 nach dem schweren Sturz in Kitzbühel 2009 war einer der wichtigsten Momente. Die Rückkehr hat so viel Kraft gekostet.
Sie haben den Sturz beim Zielsprung von Kitzbühel angesprochen. Sie lagen damals mit einem Schädel-Hirn-Trauma drei Wochen im Koma, mussten danach das Laufen erst wieder lernen. Wie schwierig war es, wieder ins Leben zurückzukommen?
Albrecht: Es ging dann doch ziemlich einfach. Am Anfang hatte ich noch nicht realisiert, was passiert war. Ich musste erst wieder das Gefühl auf dem Ski suchen. Aber es ging relativ schnell viel besser. Ich hatte zum Glück schon vor dem Sturz in Kitzbühel meine eigene Modelinie (Albright, Anm.) gegründet. Das sollte eigentlich eine Übergangslösung nach der Karriere sein. Dass ich die so schnell gebraucht habe, war natürlich ein Glücksfall. Das war ein angenehmer Übergang.
Sie hatten 2010 ein Comeback, traten dann aber 2013 ohne weitere große Erfolge endgültig ab. Viele Leute fragen sich: Wie geht es Daniel Albrecht heute?
Albrecht: Es ist so weit alles normal. Wenn man sieht, was sonst nach einem Schädel-Hirn-Trauma passiert, kann ich nur dankbar sein, wie gut es mir heute geht. Die Schäden sind nicht so dramatisch. Dinge, in denen ich nicht so stark war, sind jetzt noch schlechter. Alles, was ich gut konnte, wurde aber auch wieder gut. Wenn ich früher die Leidenschaft hatte, etwas zu tun, dann hatte ich Energie ohne Ende. Wenn das Interesse aber nicht mehr da ist, dann habe ich absolut keine Energie.
Müssen Sie die Kräfte also gut verteilen?
Albrecht: Dinge, die nicht automatisiert waren, gehen nicht mehr so leicht. Ich muss viel mehr überlegen, muss immer mit den Gedanken bei der Sache sein, muss mich mehr konzentrieren. Das kostet sehr viel Energie. Das Leben ist nicht mehr so einfach. Bei Sachen, die man nicht gerne macht oder nicht gut kennt, man wird einfach schneller müde. Ich konnte mein Leben so weit aufbauen, dass man heute nichts mehr merkt.
Die Erinnerungen an den Kitzbühel-Sturz sind ja weg. Wie geht es Ihnen, wenn Sie die Sturzbilder sehen?
Albrecht: Ich halte Vorträge, bei denen ich den Sturz zeige. Da sehe ich die Bilder immer wieder für mich selbst. Aber ich kann mich an den Tag des Sturzes nicht erinnern. Ich habe emotional keine Bindung zu den Bildern.
So, als würde man eine dritte Person sehen?
Albrecht: Es ist so, als würde ich einen Kollegen stürzen sehen. Aber obwohl ich weiß, dass ich das bin, ist überhaupt keine Emotion da. Die einzige Erinnerung ist eine positive. Denn ich habe das Video mit der Musik unterlegt, die ich immer vor jedem Rennen gehört habe.
Was war das?
Albrecht: Never enough von „50 Cent“. Das motiviert mich heute noch.
Der Fehler beim Sturz: Mehr Reue oder überwiegt das Positive, das sich daraus ergab?
Albrecht: Ich habe keinen großen Fehler gemacht, die Umstände waren alle gegen mich. Die Auswirkungen waren sehr groß. Aber als Athlet bin ich selber dafür verantwortlich. Großen Dank schulde ich meiner Frau für ihre Unterstützung. Ohne die wäre es mir nie so gut gegangen.
Die Rettungskette in Kitzbühel hat gut und schnell funktioniert.
Albrecht: Es gibt Rennorte, wo die Rettung nicht so schnell da ist. Da hatte ich Riesenglück. Da muss ich den Österreichern Danke sagen. Gerade bei der Kopfverletzung, den Blutungen im Kopf, wäre das dramatisch gewesen.
Wir mussten dieses Interview zuerst verschieben, weil Sie „Baby-Dienst“ hatten ...
Albrecht: Davor gibt es als Spitzensportler nur ein Ziel. Man macht alles für die Leistung und den Erfolg. Wenn man aus dieser Welt rausgerissen wird, muss man sich ganz neu orientieren. Dann schaltet man einen Gang runter und versucht, ein normales Leben zu führen. Da hilft die Familie. Ich habe eine Tochter (Maria/2, Anm.) und zwei Hunde – das ist weniger stressig als davor (lacht). Zudem habe ich eine Holzbaufirma (mond.haus).
Was halten Sie als Weltmeister von der Idee, die Kombi abzuschaffen?
Albrecht: Zu meiner Zeit hat der beste Rennfahrer den Gesamtweltcup gewonnen. Damals waren wir eine Familie. Im Moment ist es eher so, dass du entweder Abfahrer oder Slalomfahrer bist. Das sind zwei Welten.
In der Welt der Abfahrer wird überlegt, Strecken technisch anspruchsvoller zu machen. Ein heikles Thema?
Albrecht: Die schönsten Bilder sind die von der ruhigen Piste, da sieht es aus, als hätte man alles unter Kontrolle. Das macht mehr Eindruck, als wenn man runterfährt und es so aussieht, als ob man nicht Skifahren kann, weil man sich kaum halten kann.
Das Gespräch führte Roman Stelzl