SPD-Nahles versucht mit Abkehr von Hartz IV den Befreiungsschlag
Berlin (APA/AFP) - Mit der endgültigen Abkehr vom Hartz-IV-System und einem klaren sozialen Profil versucht die angeschlagene SPD-Chefin And...
Berlin (APA/AFP) - Mit der endgültigen Abkehr vom Hartz-IV-System und einem klaren sozialen Profil versucht die angeschlagene SPD-Chefin Andrea Nahles den Befreiungsschlag. Forderungen nach einem Mindestlohn von zwölf Euro, einem neuen Bürgergeld und einer garantierten Grundrente für langjährig Versicherte sollen die Partei aus dem Stimmungstief herausführen.
Für die Koalition mit der Union bedeutet dies allerdings zusätzlichen Sprengstoff.
„Wir lassen Hartz IV hinter uns“, verkündete Nahles geradezu enthusiastisch nach der einstimmigen Entscheidung des Parteivorstands am Sonntag. Lange schon geht die SPD auf Distanz zu den in den eigenen Reihen unbeliebten Hartz-Reformen von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (1998-2005), nun zog die Parteispitze auch offiziell den Schlussstrich. Zwar sollen zentrale Elemente wie die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in das neue Bürgergeld übernommen werden, andere besonders verhasste Punkte wie Vermögens- und Wohnraumkontrollen oder das strenge Sanktionsregime werden aber deutlich entschärft.
„Wir wollen nicht, dass man den Menschen mit Misstrauen und Kontrolle begegnet, wir wollen Partner der Menschen sein“, gab Nahles den neuen Kurs vor. Flankiert wird dies durch weitere soziale Akzente wie erweiterte Ansprüche auf das Arbeitslosengeld I besonders für ältere Arbeitnehmer und eine Kindergrundsicherung. Arbeitsminister Hubertus Heil steuerte noch das Konzept für die Grundrente bei, die lange Lebensarbeitszeiten für Geringverdiener stärker honorieren soll.
Für Nahles geht es bei der Sozialstaatsreform auch um ihre persönliche Zukunft: Die Parteichefin steht massiv unter Druck, in den Umfragen dümpelten die Sozialdemokraten auf Bundesebene in den vergangenen Monaten stets bei nur rund 15 Prozent. Längst mussten sie den zweiten Platz nach der CDU/CSU an die Grünen abgeben, auch die Beliebtheitswerte von Nahles selbst verharren hartnäckig im Keller. Dabei schien keine Rolle zu spielen, dass die SPD in der Regierungsarbeit durchaus Erfolge vorzuweisen hatte - von der Sicherung des Pensionsniveaus über Entlastungen bei den Sozialbeiträgen bis zum Gute-Kita-Gesetz für Kindertagesstätten.
„Sie sehen hier eine sehr gut gelaunte Parteivorsitzende stehen. Wir fühlen uns gut gerüstet zu Beginn dieses Jahres“, strahlte Nahles nun auf der Klausurtagung des Parteivorstands Optimismus aus. Tatsächlich zeigte der Trend für die SPD in jüngsten Umfragen wieder nach oben. Zwar sind 16 Prozent im „Politbarometer“ und - gleichauf mit den Grünen - 17 Prozent in einer aktuellen Emnid-Umfrage noch keine sozialdemokratischen Traumwerte, doch der Trend geht aus SPD-Sicht endlich mal in die richtige Richtung.
Weniger hilfreich dürften dafür allerdings jüngste Querschüsse früherer SPD-Funktionsträger sein, allen voran Schröder und Ex-Parteichef Sigmar Gabriel. Zwar stellte sich Gabriel im Grundsatz hinter die Reformpläne der Partei für den Sozialstaat, warnte die SPD aber zugleich öffentlich vor einer Rolle als „Betriebsrat der Nation“ und - in klarem Gegensatz zu Nahles - vor einem zu engen Blickwinkel auf soziale Themen. Schröder sprach der Parteichefin gar eine Woche vor der Klausurtagung in einem Interview wirtschaftliche Kompetenz ab, warf ihr „Amateurfehler“ vor und schwärmte zugleich von ihrem Rivalen Gabriel als „vielleicht der begabteste Politiker, den wir in der SPD haben“.
Nahles vermied es dagegen am Sonntag, die Vorstandsbeschlüsse als Abrechnung mit der Politik ihrer Vorgänger zu interpretieren. „Wir diskutieren nicht über die Vergangenheit, wir machen einen Vorschlag für die Zukunft“, richtete sie den Blick nach vorn: „Wir sind bereit, eine neue sozialdemokratische Politik zu formen.“ Zu deren Umsetzung dürfte allerdings angesichts des Widerstands der Union innerhalb der Großen Koalition vorerst nur wenig Gelegenheit sein und auch bei einem Ausstieg wären politische Mehrheiten für die SPD weiterhin nicht in Sicht.