Innsbruck

Projekt VERA in Innsbruck: „Chancen kennen keine Grenzen“

„Die Leute hier sind einfach sympathisch und helfen mir, eine Struktur zu finden“, sagt Kerstin, 19 Jahre alt, die oft ins Betreuungszentrum VERA kommt und dort ihren Tag verbringt.
© Foto TT / Rudy De Moor

Damit die Hindernisse von einst keine Hürden mehr sind: VERA (Vorbeikommen, Erleben, Arbeiten) ist das erste unverbindliche und sofort zugängliche Angebot für Jugendliche mit Problemen in Tirol.

Von Lisa Hintner

Innsbruck –Außen ist es düster-grau, innen bunt wie der Fisch, den Kerstin auf eine Glasschüssel malt. Sie sitzt im zweiten Stock des Gebäudes gleich gegenüber dem Innsbrucker Bahnhof, legt den Pinsel beiseite, dann die Glasschüssel, auf der bereits eine Unterwasserwelt zu erkennen ist. „Ich habe einen Hauptschulabschluss, aber Lehre habe ich einfach keine bekommen“, sagt die 19-Jährige und senkt ihren Blick.

Sie ist eine von vielen Jugendlichen, die ins VERA kommen – das erste niederschwellige Tiroler Stabilisierungsprojekt für Jugendliche ohne Arbeit und Ausbildung. Sie alle sind zwischen 15 und 24 Jahre alt, auf der Suche nach dem Alltag, der Struktur und einem zielstrebigen Blick, weil sie diesen nie hatten oder gar verloren haben. Durch verschiedenste Probleme zuhause oder beim Berufseinstieg.

254 Jugendliche waren es insgesamt, die am Projekt in der ersten Laufzeit von September 2016 bis August 2018 teilgenommen haben. 54,3 Prozent davon schafften den Weg zurück in eine Ausbildung oder Arbeit. Die zweite Laufzeit folgte (2018–2020). Hierfür macht Tirol insgesamt 1,2 Millionen Euro locker, aus eigener Kasse und dem Geldtopf des Europäischen Sozialfonds für Tirol (ESF). Zum Hintergrund Ines Bürgler, Leiterin der Abteilung Gesellschaft und Arbeit: „Für die Förderung der sozialen Inklusion und bildungspolitischer Ziele verteilt das Sozialministerium den ESF auf die einzelnen Bundesländer oder andere Bundesministerien. Tirol stehen von 2014 bis 2020 insgesamt 8,7 Millionen an ESF zu, dessen Einsatzfelder in der „ESF-Strategie Tirol 2020“ definiert sind. Eines davon beschäftigt sich mit Maßnahmen für ausgegrenzte Jugendliche.“

Warum sie plötzlich in einer Sackgasse stand, will Kerstin nicht im Detail erörtern. Sie beißt auf ihre Lippen-Piercings, dann gibt sie sich einen Ruck: „Öfters war das Jugendamt in meiner Familie.“ Doch schon bewegen sich die Piercings auf ihrer Lippe wieder hin und her, fast als ob Kerstin damit andeuten wollte, dass sie lieber über das Heute erzählt. Und genau da setzt sie ihren Anker: „Fast jeden Tag komme ich ins VERA, weil ich hier mein Selbstbewusstsein aufbauen kann.“

Jugendlichen Halt und Zuversicht zu geben, in Einzel-, Gruppencoachings oder Trainigsarbeiten, ist das Ziel der insgesamt 12 Projektmitarbeiter. Heute ist es Christiane, die Kerstin bei ihren Malarbeiten unterstützt. Sie ist die Leiterin des Trainingsbereichs „Design und Mode“. Dort geht Kerstin am liebsten hin, obwohl auch „Reparatur-“ und „Medienprogramme“ zur Auswahl stünden. Das Künstlerische liege ihr eben, sagt Kerstin mit einem Lachen und erklärt, dass sie sogar Faschingskostüme genäht hat. Doch mehr als um all diese Tätigkeiten an sich geht es bei VERA um die Beziehungsarbeit. Projektleiter Lukas Polzinger sagt: „Unsere dauerhafte Herausforderung ist es, Jugendliche zu erreichen“. Das war auch die Idee hinter dem Projekt: „Mit Stichtag 31. Oktober 2016 wurden von der Statistik Austria 1579 Jugendliche in Tirol als frühzeitige Schulabbrecher erfasst. Auf dieser damals wie heute einzigen statistischen Basis war für das Land klar, dass ein Angebot wie VERA ins Leben gerufen werden musste“, sagt Bürgler.

Kerstin jedenfalls ist davon begeistert. Mit jedem Pinselstrich formt sie ihre eigene Welt in ihrem Kopf. Eine Struktur möchte sie finden, im kreativen Bereich möchte sie arbeiten. „Vielleicht werde ich Kindergärtnerin“, sagt die 19-Jährige und zuckt mit ihren Achseln. Und wie sie den Fisch auf der Glasschüssel Fleck für Fleck bemalt und ihm ein goldiges Schuppenkleid verleiht, entwirft sie ihr eigenes – ihre Zukunftsvisionen und Ziele, denen sie selbst wie ein goldiger Fisch entgegenschwimmen möchte. Mit Plan, Struktur und einem zielstrebigen Blick.

Kerstin möchte im Kreativ-Bereich arbeiten.
© Foto TT / Rudy De Moor

Für Sie im Bezirk Innsbruck unterwegs:

Renate Perktold

Renate Perktold

+4350403 3302

Verena Langegger

Verena Langegger

+4350403 2162

Michael Domanig

Michael Domanig

+4350403 2561