Irrglauben, Ängste, Hormon-Skepsis: So verhütet Österreich
Die Österreicher verhüten wenig und haben viele falsche Vorstellungen. Mehr als ein Fünftel verhütet gar nicht, bei 38 Prozent kommt das Kondom zum Einsatz.
Von Cornelia Ritzer
Wien – Eine Frau hat bereits Kinder und möchte mit einer Hormonspirale verhüten. Das hochwirksame Verhütungsmittel ist aber mit Kosten von einigen hundert Euro verbunden – eine Summe, die sie nicht hat. Während sie für eine Spirale spart, wird sie ungewollt schwanger. Und entscheidet sich, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.
Von Fällen wie diesen erzählt Christian Fiala, Leiter des Gynmed-Ambulatoriums, bei der Präsentation des 3. Österreichischen Verhütungsreports. Der Gynäkologe knüpft an das Beispiel eine zentrale Forderung: Verhütung müsse leistbar und auf Krankenschein erhältlich sein. Hier ortet er in Österreich nämlich einen großen Aufholbedarf. So sei Österreich das einzige Land Westeuropas, in dem die Politik sowohl die Kostenübernahme von Verhütung ablehne als auch der Abbruch aus eigener Tasche bezahlt werden müsse. „Die Politik ist vollkommen abwesend in diesem Bereich“, geht er mit den Gesundheitspolitikern des letzten Jahrzehnts hart ins Gericht. Sein Fazit: „Schlechte Verhütung führt nicht zu mehr Geburten, sondern nur zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen.“
Besonderes Augenmerk sollte dabei auf Menschen mit Migrationshintergrund gelegt werden. Denn die Migrantinnen seien in der Gruppe jener Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, mit 47 Prozent überrepräsentiert. Laut Fialas Daten aus Salzburg gibt es in Österreich zwischen 30.000 und 35.000 Abbrüche jährlich. Bei zwei Millionen Frauen im gebärfähigen Alter liege Österreich damit im negativen Spitzenfeld. „Völlig unnötigerweise“, wie der Mediziner hinzufügt. Eine offizielle Statistik zu Schwangerschaftsabbrüchen gibt es nicht.
Aus dem Verhütungsreport geht außerdem hervor, dass seit 2012 die Zahl der effektiven, aber hormonellen Verhütungsmittel (Pille, Hormonpflaster oder Ring) von 60 auf 44 Prozent gesunken ist. Für sechs von zehn Frauen ist Hormonfreiheit „wichtig bis sehr wichtig“, zeigt die repräsentative Studie des Meinungsforschungsinstituts Integral unter 881 Frauen sowie 901 Männern im Alter von 16 bis 49 Jahren. Viele Frauen möchten verhüten, ohne in die „natürlichen“ Abläufe im Körper einzugreifen, erklärte Psychologin Elisabeth Parzer das „relativ neue Phänomen“ der Hormonskepsis. Die Entscheidung für eine Verhütung wird dadurch noch schwieriger. Denn als hochwirksame Alternative gebe es nur die Kupferspirale und die (nicht rückgängig machbare) Sterilisation.
Die gute Nachricht der Studie ist jedoch, dass die meisten Frauen (83 Prozent) und auch Männer (89 Prozent) grundsätzlich mit ihrer Sexualität zufrieden sind. Mit 38 Prozent kommt das – nur mittelmäßig wirksame – Kondom am häufigsten zur Verhütung einer Schwangerschaft beim Sex zum Einsatz. Und mehr als ein Fünftel (22 Prozent) gab an, im letzten Jahr nicht verhütet zu haben. Die Hauptgründe dafür sind ein Kinderwunsch (6 Prozent der Befragten) und kein bzw. seltener Geschlechtsverkehr (5 Prozent). Zusätzlich gibt es hier eine enorme Wissenslücke: So sei der Glaube, dass die Fruchtbarkeit der Frau sich auf null bis drei oder höchstens sieben mögliche Schwangerschaften im Leben beschränkt, weit verbreitet. Fiala: „60 Jahre nach Einführung der Pille haben die Menschen offenbar vergessen, was natürliche Fruchtbarkeit ist.“ Die durchschnittliche Zahl der möglichen Schwangerschaften im Leben beträgt 15, was nur 13 Prozent richtig einschätzten.
Beide Geschlechter würden darüber hinaus gerne „Verhütungsverantwortung“ übernehmen – allerdings herrsche hier „ein Missverständnis und Kommunikationsbedarf“ (Fiala) zwischen den Geschlechtern. Mehr als ein Drittel (39 Prozent) der männlichen Befragten würde eine wirksame reversible Methode anwenden – wenn es sie gäbe. Dagegen sind die meisten Frauen überzeugt, dass die Thematik Männern egal ist, sie nicht darüber nachdenken oder ihnen die Verhütungs-Verteilung sogar recht ist. Verhütung ist jedoch nicht grundsätzlich Frauensache: Ein Viertel gab an, zuständig wären beide Partner, allerdings übernehmen Frauen die Verantwortung generell fast doppelt so oft (42 versus 23 Prozent). Einig sind sich Männer und Frauen dagegen beim Wunsch nach mehr Verhütungsberatung durch Ärzte.