Merkel rechnet mit Trump ab, USA drohen Europa
Alle gegen Trump: Bei der Münchner Sicherheitskonferenz führt Angela Merkel die Kritiker des US-Präsidenten an. Russen und Iraner fordern die Europäer zu mehr Unabhängigkeit von Washington auf.
München, Washington – Das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA rutscht wegen drohender Sonderzölle auf deutsche Autos und großer Differenzen in der Außenpolitik immer tiefer in die Krise. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz traten die großen Spannungen zwischen Berlin und Washington am Wochenende offen zutage.
Kanzlerin Angela Merkel rügte die Alleingänge von US-Präsident Donald Trump in der Außen- und Handelspolitik scharf. Dessen Stellvertreter Mike Pence forderte die Europäer in München auf, dem harten Kurs der USA gegen Iran und Russland zu folgen. Doch Merkel denkt nicht daran. Sie setzt auf internationale Zusammenarbeit und die bestehende Weltordnung: „Wir dürfen sie nicht einfach zerschlagen“, sagte sie bei der Tagung vor zahlreichen Staats- und Regierungschefs in Anspielung auf Trump.
Sonderzölle stehen vor der Tür
Die USA machten jedoch mit drastischen Drohungen in der Außen- und Handelspolitik Druck auf die westlichen Verbündeten. So planen die USA offensichtlich Sonderzölle auf deutsche Autos. Das Handelsministerium stufte europäische Autos als Gefahr für die nationale Sicherheit ein, somit könnte Trump Sonderzölle erheben. Der Wert europäischer Auto- und Autoteilexporte in die USA wurde zuletzt von der EU-Kommission auf mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr beziffert.
Pence drohte in München mit Konsequenzen, wenn Europa weiter auf russisches Gas setze. „Wir können die Verteidigung des Westens nicht garantieren, wenn unsere Bündnispartner sich vom Osten abhängig machen.“ Die USA drängen Deutschland, das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 durch die Ostsee aufzugeben.
Pathologische Besessenheit
Merkel reagierte in München empört darauf, dass die USA Pläne für Sonderzölle auf deutsche Autos haben. Dass deutsche Autos „plötzlich eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika sind, dann erschreckt uns das“. Die Kanzlerin sagte zudem, sie halte es für einen Fehler des Westens, die Kontakte zu Russland und dem Iran zu kappen. Es sei besser im Gespräch zu bleiben und so auf die beiden Länder einzuwirken.
Dagegen sagte Pence bei der Sicherheitskonferenz: „Das iranische Regime befürwortet einen weiteren Holocaust und versucht ihn auch zu erreichen.“ Trumps Stellvertreter fügte hinzu: „Antisemitismus ist nicht nur falsch, er ist böse.“ Merkel sprach sich dafür aus, das Abkommen zur Verhinderung einer iranischen Atombombe beizubehalten. Diesen „kleinen Anker“ müsse man nutzen, um auf anderen Gebieten Druck zu machen.
Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif wies den Vorwurf von Pence am Sonntag in München scharf zurück: Das sei „lachhaft, aber gleichzeitig auch sehr, sehr gefährlich“. Sarif hielt den USA eine „pathologische Besessenheit“ gegenüber Teheran vor. Die Europäer sollten sich von Washington emanzipieren. „Europa muss bereit sein, nass zu werden, wenn es gegen den gefährlichen Strom des US-Unilateralismus schwimmen will.“
Steitpunkt Nord Stream
Merkel verwahrte sich gegen die US-Forderung, aus Nord Stream 2 auszusteigen. Wenn man die Kontakte zu Russland kappe, überlasse man die Zusammenarbeit mit Moskau ganz China. „Wir wollen auch ein bisschen an den Handelsbeziehungen teilnehmen.“ Die Abhängigkeit Europas von russischem Gas hänge nicht davon ab, ob die Pipeline gebaut werde oder nicht.
Der russischen Außenminister Sergej Lawrow hat die EU zu einem Kurswechsel gegenüber Moskau aufgerufen. „Das gesamteuropäische Haus braucht eine Generalsanierung“, sagte Lawrow in München. Die EU habe sich in eine sinnlose Rivalität mit Russland drängen lassen.
In München wurde auch der Streit zwischen den USA und China um eine Beteiligung des chinesischen IT-Konzerns Huawei am Aufbau westlicher 5G-Netze offen ausgetragen. Der oberste Außenpolitiker Chinas, Yang Jiechi, widersprach am Samstag seinem Vorredner Mike Pence: China verlange von keiner Firma, nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu sammeln, durch Hintertürchen oder wie auch immer, sagte Yang. Grundsätzlich rief er die USA und andere auf, mehr Respekt gegenüber China aufzubringen: Man sollte weniger andere belehren. (dpa)
Was von der Sicherheitskonferenz 2019 in Erinnerung bleibt
Merkel-Rede: Standing Ovations für Auftritte auf der Konferenz sind eine Seltenheit - Angela Merkel bekommt sie. Die Bundeskanzlerin rügt in einer viel beachteten Rede die Alleingänge von US-Präsident Donald Trump in der Außen- und Handelspolitik - und legt ein klares, fast leidenschaftliches Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit ab.
Transatlantische Gräben: Wie tief die Gräben zwischen Deutschland und den USA sind, wird in einer Rede von US-Vizepräsident Mike Pence deutlich. Pence preist Trump und die US-Regierung in den höchsten Tönen - und ruft Deutschland und Europa auf, den USA quasi blind zu folgen, etwa im harten Kurs gegenüber dem Iran. Pence kritisiert zudem die deutsche Beteiligung an der Gas-Pipeline Nord Stream 2. Auch der Streit um US-Zölle auf deutsche Autos vertieft die Gräben.
Zwei Amerikas: Auf der Sicherheitskonferenz tritt aber nicht nur das Trump-Land auf, sondern auch das andere Amerika: Ex-Vizepräsident Joe Biden beispielsweise grenzt sich scharf vom aktuellen Präsidenten ab, kritisiert unter anderem dessen Klima- und Flüchtlingspolitik. Biden ruft den Verbündeten zu: "Das geht vorbei. Wir kommen zurück."
Neue Großmächte: China hat den obersten Außenpolitiker Yang Jiechi nach München geschickt - der äußerst selbstbewusst auftritt, sich etwa Belehrungen aus den USA verbittet. Er und Pence tragen den Streit um eine Beteiligung des chinesischen IT-Konzerns Huawei am Aufbau westlicher 5G-Netze offen aus: Yang widerspricht Pence - China verlange von keiner Firma, den eigenen Geheimdiensten zuzuarbeiten.
Ab- und Aufrüstung: Nach den Reden von Pence und des russischen Außenministers Sergej Lawrow wird noch einmal klar: Das endgültige Aus des INF-Abrüstungsvertrags ist kaum mehr abzuwenden - und das verunsichert Europa. Merkel warnt bereits vor "blindem Aufrüsten".
Krisen und Konflikte: Nahost, Syrien, Iran: Die Liste der Konflikte, die angesprochen werden, ist lang, die der präsentierten Lösungen kurz. Im Fokus vor allem: Der neue Atom-Streit zwischen den USA und dem Iran. Pence wirft Teheran erneut vor, einen neuen Holocaust zu befürworten - was der iranische Außenminister scharf zurückweist: Mohammed Dschawad Sarif wirft den USA in einer Art Generalabrechnung eine "pathologische Besessenheit" und "ignorante Hassreden" vor.
Klimawandel: Lösungen gibt es nicht - aber drastische Warnungen des Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber. Doch die US-Regierung schweigt. Er schäme sich, dass Pence in seiner Rede das Wort Klimawandel nicht ein einziges Mal benutzt habe, schimpft Ex-Außenminister John Kerry. Kumi Naidoo von Amnesty International warnt: "Die Natur verhandelt nicht."
Mehr Geld fürs Militär: Pence pocht erneut auf höhere Wehretats der Nato-Verbündeten. Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stellen eine weitere Steigerung in Aussicht. Merkel weist aber auch auf die Bedeutung einer umfassenden Entwicklungspolitik hin.
Demos: Es dürfte nicht nur am schönen Wetter liegen: Mehrere tausend Menschen demonstrieren am Samstag gegen eine weitere Aufrüstung - so viele Teilnehmer wie seit Jahren nicht mehr.