Othmar Karas im Interview: Die zwei Gesichter der FPÖ
Othmar Karas, ÖVP-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, spricht im TT-Interview über Orbán und den Koalitionspartner in der Bundesregierung.
Ungarns Premier Viktor Orbán hat mit einer Plakatkampagne erneut für Empörung gesorgt. Sie fordern weiterhin nicht den Ausschluss seiner Partei aus der Europäischen Volkspartei. Warum?
Othmar Karas: Diese Verleumdung von Menschen, die Orbán betreibt, ist inakzeptabel. Aber wenn man Fehlverhalten aufzeigt, muss man korrekt sein. Deshalb brauchen wir ein ausreichendes Verfahren innerhalb der EU und innerhalb der europäischen Parteien. Ich gehöre zu jenen, die im Europäischen Parlament für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn gesorgt haben.
Dafür gab es aber bisher keine ausreichende Mehrheit der Mitgliedstaaten ...
Karas: Das liegt daran, dass wir derzeit einen Blockademechanismus haben, wo sich diejenigen, die Recht verletzen, gegenseitig schützen. Daher muss man vom Prinzip der Einstimmigkeit abgehen. Die Entscheidung über Konsequenzen sollten auch nicht von der Politik, sondern von einem Schiedsgericht getroffen werden.
Ungarn, Polen und eventuell andere sollen vor ein Schiedsgericht kommen?
Karas: Nein. Ich fordere, dass die Entscheidung nicht von ihnen selbst blockiert werden kann. Und ich meine, dass man daher in der letzten Instanz ein unabhängiges Schiedsgericht für Rechts- und Werteverletzungen schaffen sollte – oder dass man den Blockademechanismus beseitigt.
Sie sagten, auch die Parteien brauchen ein Verfahren ...
Karas: Alle Parteifamilien haben schwarze Schafe in ihren Reihen. Siehe die Sozialdemokraten in der Slowakei und in Malta oder die Liberalen in Tschechien. Die Verfahren zum Umgang damit sind unzureichend. Ich muss dem Betroffenen ja auch die Chance geben, sich zu rechtfertigen. Aber dann muss es möglich sein, im Rahmen eines geordneten Verfahrens klare Konsequenzen zu ziehen.
Sie gelten als überzeugter Europäer. Aber Sie sind Kandidat einer Partei, die in Wien mit der FPÖ regiert, welche an einer antieuropäischen Allianz bastelt. Müssen proeuropäische Wähler nicht stutzig werden?
Karas: Sie können sich erinnern, dass es nach der Nationalratswahl in Österreich keine andere Mehrheit gegeben hat, um die Regierungsfähigkeit in unserem Land sicherzustellen, als die ÖVP-FPÖ-Koalition. Der Bundespräsident und der Bundeskanzler hätten das Regierungsabkommen nie unterzeichnet, wäre die Politik der FPÖ im Europaparlament der Inhalt gewesen.
Die Regierung ist für mich das eine. Sie fußt auf dem Boden der Mehrheit in der österreichischen Bevölkerung und im Nationalrat. Etwas anderes ist das Verhalten der FPÖ in der Fraktion der Rechtsextremen und Rechtspopulisten im EU-Parlament.
Also in Österreich mit der FPÖ und auf europäischer Ebene gegen die FPÖ?
Karas: Das ist keine strategische Frage, wie man mir unterstellt hat. Ich bin weder geeignet noch bereit, ein Instrument für taktische Spielereien der Politik zu sein. Mir geht es um Recht, Werte, Inhalte und Zusammenarbeit. Ich möchte in der Mitte zwischen den Extremen eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für etwas schmieden. Die FPÖ in Österreich ist an das Regierungsprogramm gebunden. Aber die FPÖ im EU-Parlament zeigt ihr wahres Gesicht im Umgang mit der EU.
Auf Ihrer Liste wird ja erst durch Vorzugsstimmen entschieden, wer an welcher Stelle ins EU-Parlament einzieht. Was haben Sie, was Ihre Listenzweite Karoline Edtstadler nicht hat?
Karas: Was wir alle haben, ist Respekt voreinander und ein gleiches Wertegerüst. Und ich hoffe, dass jeder von uns etwas hat, was der andere nicht hat. Das macht ja das Team so stark. Und ich darf der Teamkapitän sein. Wir ergänzen uns gut, aber wir sind nicht in jeder Frage einer Meinung, und wir haben unterschiedliche Schwerpunkte. Wer mich als Person will und meinen Kurs, der sollte auch mir eine Vorzugsstimme geben.
Nicht alle Regierungschefs in der EU sind damit einverstanden, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion Kommissionschef werden soll. Können Sie ausschließen, für jemand anderen zu stimmen?
Karas: Ich gehe davon aus, dass niemand Kommissionspräsident wird, der nicht als Spitzenkandidat einer Parteienfamilie angetreten ist. Ich erwarte, dass die Europäische Volkspartei wieder die gestaltende Kraft in Europa wird. Aber es hängt natürlich von den Mehrheitsverhältnissen ab, wen wir als Kommissionspräsident nominieren.
Würden Sie die Unterstützung durch die neue Rechtsallianz willkommen heißen, sollte EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber darauf angewiesen sein?
Karas: Nein. Es müssen ja die zusammenarbeiten, die gemeinsam etwas tun wollen – und nicht die, die etwas verhindern oder die EU schwächen wollen. Ich bin immer bemüht, die europäische Idee über die parteipolitischen Unterschiede hinaus zu einem gemeinsamen Anliegen zu machen. Meine Gesprächspartner für eine Mehrheit im EU-Parlament waren immer Liberale, Grüne und Sozialdemokraten. Ich halte eine Zusammenarbeit zwischen diesen vier Fraktionen auch in Zukunft für wünschenswert, und sie haben miteinander auch eine Mehrheit.
Das Gespräch führte Floo Weißmann