Erdbeben zeigen den Weg, den die Alpen heute gehen
Ein Innsbrucker Geologe hat die Messdaten Hunderter Erdbeben analysiert und so herausgefunden, was sich aktuell in Tirols Untergrund tut.
Von Gabriele Starck
Innsbruck –Die Alpen kommen nicht zur Ruhe, das junge Gebirge bleibt in Bewegung, wächst an manchen Stellen um zwei Millimeter pro Jahr in die Höhe. Doch was genau spielt sich im äußerst komplexen Untergrund ab? Und wohin bewegen sich die vielen Teilstücke der Erdkruste – jene Bruchstücke, die abgerissen sind, weil die Afrikanische Platte die Adriatische nach Norden auf Europa schiebt? Die Bruchstücke der Platten werden dann an anderen vorbeigeschoben oder aufeinandergestapelt. Oder die Teile werden unter andere gedrückt, was diese dann wiederum in die Höhe hebt.
Diesem Durcheinander ist es auch zu verdanken, dass einmal Teile der Europäischen Kontinentalplatte an der Oberfläche liegen, wie etwa innerhalb des Tauernfensters, ein anderes Mal aber Adriatische Bruchstücke Oberwasser behielten.
All das setzt sich fort – zwar langsam, aber nicht immer behutsam. Geologen vergleichen es gern mit einer Rodel am Gummiband. Zieht man daran, tut sich zunächst nichts, plötzlich aber versetzt es die Rodel ruckartig. In der Geologie heißt das: Die Spannung entlädt sich in einem Erdbeben – häufig auch im Inntal, wo etliche kleine Störungen, sprich Bruchlinien im Untergrund, für Unruhe sorgen.
Genau das könnte aber auch verraten, in welche Richtung sich die Teile bewegen, dachte sich der Geologe Franz Reiter und machte sich an der Uni Innsbruck daran, Bebendaten auszuwerten, um der Alpen-Geometrie weitere Geheimnisse zu entlocken.
Dank des dichten und inzwischen digitalen Messnetzes des Erdbebendienstes rund um Innsbruck sowie italienischen, deutschen und Schweizer Daten gelang es ihm gemeinsam mit ZAMG-Seismologen tatsächlich, auf die Bewegungsrichtung der gebrochenen Krustenteile und die Spannungen im Untergrund rückzuschließen. „Auch wenn die Verschiebungen gering sind, senden die Bebenherde ein charakteristisches Muster von Wellen aus“, erklärt Reiter. Wenn diese Wellen von vielen Messstationen aufgezeichnet werden, könne man die Orientierung der Bruchfläche und die Bewegung der Krustenteile herausfinden.
Nach wie vor schiebt die Afrikanische Platte die Adriatische nach Norden, wobei diese gegen den Uhrzeigersinn rotiert. Das führt dazu, dass das Tyrrhenische Meer zwischen Sardinien, Sizilien und Neapel immer breiter wird. Durch den Druck der Adria-Platte auf die Europäische entstehen die zahlreichen und zum Teil sehr kräftigen Beben in der Friaul-Region.
Einen Einfluss auf die Erdbebentätigkeit in den Ostalpen hat, wie Reiter herausfand und in der Fachzeitschrift Tectonics publizierte, aber auch der Dolomiten-Sporn, der bis Mauls südlich des Brenners in den Alpenkörper eindringt. Dadurch wird nördlich davon der Bereich der Tauern stark gehoben, die Gesteinsmassen weichen entlang der Inntalstörung nach Osten aus und entgehen damit dem Druck nach Norden.
Zu seiner Überraschung stellte Reiter nun fest, dass es nicht nur seitliche Bewegungen im Unterinntal gibt, sondern sehr wohl auch nach Norden gerichtete. Das löst wiederum Erdbeben aus. Für Reiter sind solche Erkenntnisse wichtige Bausteine für das Verständnis des Alpenbaus und damit Grundlagen für die grenzüberschreitende Erdbeben-Risikoforschung.
Erdbeben Tirol
In jüngerer Zeit. Jeder einzelne Kreis auf diesem Kartenausschnitt markiert ein Erdbeben. Der große orange Punkt kennzeichnet jenes vom 17. Juli 2001 bei Meran mit einer Stärke von 5,3, bei dem mehrere Menschen starben und das auch in Nordtirol stark spürbar war. Der kleinere grüne Punkt ist das Beben bei Fulpmes (3,9) vom 3. November 2017, ein Freitagabend, das gelbe Beben war 1984 mit einer Stärke von 4,4.
Historische Beben. Der orange Stern ist das Beben von 1670 in Hall (5,2), bei dem drei Menschen starben und der halbe Turm der Stadtpfarrkirche einstürzte. Der gelbe Stern in Innsbruck markiert das Beben (4,8) von 1689, bei dem es große Schäden und ebenfalls Tote gab. Das Meraner Beben (2001) war zwar stärker als diese beiden, doch der Bebenherd lag viel tiefer, wodurch weniger Schäden entstanden.