Wenn das Sein alles Bewusstsein bricht
Wäre man draußen geblieben, hätte man sich einiges erspart: Fatih Akin hat Heinz Strunks Bestseller „Der Goldene Handschuh“ bebildert.
Von Joachim Leitner
Innsbruck –Wenn Heintje schmettert und Freddy Quinn schmalzt, fließen in der Kiez-Kaschemme „Goldener Handschuh“ die Tränen. Die Sehnsuchtsweisen aus der schäbigen Jukebox sind das Einzige, was denen geblieben ist, die hier Zuflucht suchen. Und das bisschen Leben, das noch da ist, in „Fako“ – Fanta und Korn – ertränken.
Die vereinte Wehmut wegen eines wehmütigen Liedes ist, recht früh im Film, eine der schönsten Szenen von Fatih Akins „Der Goldene Handschuh“, diesem so hässlichen Film nach Heinz Strunks gleichnamigem Bestseller. Alle liegen sich in den Armen, tun so, als gäbe es irgendwo da draußen noch etwas, das ihren Säuferexistenzen Sinn geben könnte. Nur Fritz Honka versteht nicht, warum geweint wird. Der Frau neben ihm befiehlt er, an der Haltestelle auf ihn zu warten. Er komme gleich nach. Dann bestellt er den nächsten Schnaps. Dass das alles kein gutes Ende nehmen wird, weiß man bereits. Noch bevor „Der Goldene Handschuh“ richtig beginnt, sieht man Honka beim Versuch, eine Frauenleiche in einen Müllsack zu zwängen. Irgendwann greift er zur Säge.
Der echte Fritz Honka hat in den 1970er-Jahren vier Frauen mittleren Alters, obdachlose Gelegenheitsprostituierte, die er im „Handschuh“ kennen lernte, vergewaltigt, erwürgt, erschlagen und zerstückelt.
Heinz Strunk hat aus dieser Geschichte einen aus Ermittlungsakten akribisch rekonstruierten, beeindruckend sachlichen und deshalb berührenden Tatsachenroman geschrieben. Akin hat ihn nun recht drastisch – und fraglos ähnlich detailverliebt – bebildert. Bloß: Was bei Strunk ein Gesellschaftspanorama ist, wird bei Akin zum gammeligen Abziehbildchen. Auch weil Nebenstränge der Handlung gestrichen wurden. Von den besserbetuchten Abgründen in Blankenese erfährt man nichts. Und von Honkas Heranwachsen als geprügelter Hund, das keine seiner Taten rechtfertigt, aber in einen größeren Zusammenhang setzt, auch nicht. Im Film geht es nur um Honka. Seinen hilflosen Zorn über ein Sein, das alles Bewusstsein gebrochen hat. Es geht um ein tumbes, im Suff in die Tobsucht getriebenes Monster. So wird Honka – von Jonas Dassler in grotesker Maske gespielt – eingeführt. So bleibt er bis zum Schluss.
Wie Fatih Akin bundesrepublikanische Trostlosigkeit, das mal gesellige und meist erschreckend derbe Miteinander von einstigem SS-General, Wirtschaftswunderversehrten und neugierigem Bübchen ausstellt, ist stark. Aber die Kneipe, Honkas beklemmende Unterdachwohnung, die vergilbten Pornoheft-Sternchen und Plastikpüppchen, das alles bleibt letztlich Staffage fürs große Abschlachten teigiger Frauenkörper.
Fraglos: „Der Goldene Handschuh“ ist ein fieser Film. Ein Film, der Kinogängern einiges abverlangt. Und genau damit kokettiert. Eine zweite schöne Szene dieses vorsehbar hässlichen und unerwartet vorhersehbaren Films gipfelt darin, dass ein Heranwachsender auf dem Männerklo des „Goldenen Handschuhs“ gedemütigt wird.
Er landete dort, weil auch er einmal auf harten Mann machen wollte. Seine Hoffnung auf eine Ahnung ganz realer Grindigkeit und die Zuneigung einer ungleich abgebrühteren Blondine bezahlt er mit einer bepissten Jacke.
Wäre er draußen geblieben, hätte er sich einiges erspart.
Ein Gedanke, der sich auch nach „Der Goldene Handschuh“ aufdrängt.