Slowakische Präsidentschaftswahl wird Regierungskoalition testen

Bratislava (APA) - Die slowakischen Präsidentschaftswahlen am 16. März gelten als großer Test für die künftige politische Ausrichtung des La...

Bratislava (APA) - Die slowakischen Präsidentschaftswahlen am 16. März gelten als großer Test für die künftige politische Ausrichtung des Landes. Rund ein Jahr nach dem Mord am Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten werden sie zeigen, ob die Bluttat, der ein politisches Erdbeben folgte, tatsächlich ein Umbruch in der Geschichte des Landes war.

In den eher müden Wahlkampf in der Slowakei ist allerdings erst wenige Wochen vor dem Urnengang Leben gekommen. Zuvor schienen andere innenpolitische Themen und Turbulenzen die bevorstehende Abstimmung zu überschatten. Ein wochenlanges Chaos rund um die misslungene Wahl neuer Verfassungsrichter zog alle Aufmerksamkeit auf sich, ebenso der inzwischen offene Konflikt zwischen dem scheidenden Staatspräsidenten Andrej Kiska und Ex-Premier Robert Fico, der auch nach seinem Rücktritt vor einem Jahr im Hintergrund weiterhin die Fäden zieht. Die zwei Rivalen, die sich vor fünf Jahren in der Stichwahl gegenüberstanden, treten jetzt nicht mehr an.

Paradoxerweise hat ausgerechnet der Rückzug eines Top-Favoriten den faden Wahlkampf schlagartig geändert. Knapp drei Wochen vor der Wahl hat der parteilose prominente Wissenschafter Robert Mistrik, der mit Unterstützung der größten Oppositionspartei Freiheit und Solidarität (SaS) ins Rennen ging und monatelang als nahezu eindeutiger Sieger gehandelt wurde, völlig überraschend seine Kandidatur zurückgezogen. Als Grund nannte er die rasant steigende Beliebtheit der politisch unbeschriebenen Rechtsanwältin und Bürgeraktivistin Zuzana Caputova, seiner Hauptkonkurrentin aus dem oppositionellen Lager.

Jüngste Umfragewerte sehen nämlich die 45-Jährige, die erst seit 2018 Vize-Chefin der neugegründeten liberalen politischen Partei Progressive Slowakei (Progresivne Slovensko) ist, an der Spitze des Feldes von derzeit immer noch 13 Kandidaten. Die Quereinsteigerin, die bisher noch nie ein politisches Amt bekleidet hatte, stellt sogar den slowakischen EU-Kommissar und amtierenden Vizepräsidenten der EU-Kommission Maros Sefcovic in den Schatten, der von der weiterhin stärksten Regierungspartei, der sozialdemokratischen Smer (Richtung) von Ex-Premier Fico, ins Rennen geschickt wird.

Allerdings weichen einzelne Umfrageergebnisse sehr weit voneinander ab. Laut Zahlen der Agentur Focus, die Ende Februar veröffentlicht wurden, führt nämlich Caputova mit 26,3 Prozent ziemlich deutlich vor Sefcovic mit 20,4 Prozent. Nur drei Tage zuvor dominierte allerdings in Umfragewerten der Konkurrenzagentur AKO noch Sefcovic mit 30,3 Prozent vor Caputova mit 19,4 und Mistrik mit 14,2 Prozent. Und davor lag Mistrik langfristig und wiederholt deutlich auf Platz zwei.

Seit Jänner hatten daher die zwei aussichtsreichsten oppositionellen Kandidaten heftig und öffentlich diskutiert, wer sich zu wessen Gunsten zurückziehen sollte, um die Stimmen des bürgerlichen Lagers nicht unnötig zu splitten. Nur wurde diesbezüglich eher Druck auf Caputova ausgeübt.

Nach dem Rückzug von Mistrik stellten sich aber ein großer Teil der slowakischen Parlamentsopposition, einschließlich der SaS, sowie Staatspräsident Andrej Kiska prompt hinter die bei vielen Slowaken eher unbekannte Rechtsanwältin. Schon länger unterstützen zahlreiche NGOs im Land die liberale Kandidatin.

Auf den Wahlkampf wirft allerdings die jüngste Entwicklung ein völlig neues Licht. Plötzlich scheint alles darauf hinauszulaufen, dass sich in der Stichwahl Ende März, von der in Bratislava ausgegangen wird, zwei diametral verschiedene Kandidaten aus zwei Lagern gegeneinanderstellen werden. Auf einer Seite die junge liberale Politikerin Caputova, die für jenen Teil der Gesellschaft steht, der sich gegen die angeschlagene amtierende Regierungskoalition richtet. Diese sehen viele Slowaken als verantwortlich für Missstände im Land, die bis zum Mord am Investigativ-Reporter Kuciak führten. Die Regierungsumbildung im März letzten Jahres wird lediglich als neuer Fassaden-Anstrich wahrgenommen.

Und auf anderer Seite der 52-jährige renommierte Karrierediplomat und Vizepräsident der EU-Kommission Sefcovic. Er tritt zwar als unabhängiger Kandidat an und ist auch kein Parteimitglied, in Augen vieler trägt er aber eindeutig einen Aufkleber der Smer-Partei. Schon 2014 kandidierte Sefcovic bei den Europawahlen als Spitzenkandidat auf der Liste der Smer. In der Slowakei hat der Staatschef zwar überwiegend nur repräsentative Kompetenzen, ein Erfolg von Sefcovic wäre aber für die Sozialdemokraten ein wichtiger Teilsieg vor den Europawahlen im Mai und den großen Parlamentswahlen 2020.

Das Wahlpotenzial der verbleibenden 11 Kandidaten sehen Beobachter in der Slowakei wesentlich geringer. Dies betrifft auch den ebenfalls antretenden Extremistenführer Marian Kotleba, dem kaum Chancen eingeräumt werden. Nur Stefan Harabin, Richter des slowakischen Höchstgerichts, könnte wohl noch kräftig mitmischen. Der als sehr kontrovers gesehene ehemalige Justizminister in der Regierung von Vladimir Meciar, bekannt wegen seiner konservativen und prorussischen Ausrichtung, ist mit dem Rückzug von Mistrik plötzlich drittaussichtsreichster Kandidat geworden. Derzeit liegt er zwar deutlich zurück, ein grober Fehler von Caputova oder Sefcovic in den verbleibenden zwei Wochen könnte ihm aber immer noch zur Stichwahl verhelfen.

Caputova selbst sieht als Hintergrund ihrer steigenden Unterstützung vor allem erfolgreiche Wahlkampfdebatten. In diesen hat sie tatsächlich ebenso gut abgeschnitten, wie der politisch wesentlich erfahrenere Sefcovic. Experten sehen hingegen eher einen sehr guten Mobilisierungs-Effekt der Neueinsteigerin in sozialen Netzwerken. Caputova wird von vielen als authentisch und vertrauenswürdig gesehen, mit ihren liberalen Werten könnte sie allerdings konservativere oppositionelle Wähler abschrecken, die bisher Mistrik unterstützt hatten. In ihrem Programm betont sie zwar ein gerechteres und faires Land, Umwelt und Senioren, lehnt aber in Gesprächen zum Beispiel auch eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare nicht ab.

Für Sefcovic könnte hingegen zum Problem werden, dass er zu proeuropäisch ist, was längst nicht alle Slowaken anspricht. Gelingt es ihm aber einen Mix zwischen proeuropäisch und patriotisch hinzubekommen, hat er durchaus gute Chancen nicht nur bei Smer-Wählern, sondern auch bei Anhängern der mitregierenden rechtspopulistischen SNS und sogar einem Teil der Oppositionswähler zu punkten, meinen Beobachter.

Von den schwankenden Präferenzzahlen zeigte sich Sefcovic bisher unbeeindruckt. Auch auf den Rückzug von Mistrik reagierte er nur mit der Äußerung, er hoffe, im Wahlkampf werde es jetzt endlich auch auf die Themen ankommen. Er selbst präferiere eine Diskussion über solche, die die Slowakei voranbringen, sein Programm spreche auch klar von einer Wiedervereinigung der polarisierten Gesellschaft und davon, dass die Slowakei proeuropäisch bleiben muss. Er könne einfach nicht verstehen, welche Bedeutung seine Rivalen den Umfrageergebnissen zuschreiben, betonte er.

Die realen Wahlergebnisse könnten von den aktuellen Umfragewerten tatsächlich noch sehr abweichen, warnen auch Experten. Ab Samstag (2. Februar) gilt in der Slowakei ein zweiwöchiges Moratorium, dass die Veröffentlichung weiterer Umfrageergebnisse verbietet. Durchgesetzt hatte es noch 2014 der damalige Innenminister Robert Kalinak.

Kritiker sehen dies bis heute als unlogisch an und verweisen darauf, dass derzeit rund 15 Prozent der Wähler noch immer nicht entschlossen seien, wem sie ihre Stimme geben werden. Viele dürften sich auch erst unmittelbar vor der Abstimmung entscheiden. Der Ausgang der Wahl könnte somit für den einen oder anderen Kandidaten zur bösen Überraschung werden.

Eigentlich fängt der Wahlkampf in der Slowakei jetzt erst richtig an. Die dramatischen Schwankungen in der Wählergunst sorgen endlich für die notwendige Brisanz. Auch die wichtigsten Fernsehdebatten stehen erst noch bevor, ihre Wirkung werden die Umfragezahlen aber nicht mehr spiegeln können.

Die Kampagne selbst dürfte schließlich auch nicht so sauber ablaufen, wie es bisher den Anschein nahm. Einzelne Kandidaten werden wohl nicht mehr nur mit ihrem Programm kämpfen, um ihre Chancen zu erhöhen, sondern vermutlich auch versuchen, ihre Mitbewerber zu beschmutzen. Ähnlich wie 2014, als im Land plötzlich Anschuldigungen die Runde machten, Andrej Kiska sei Scientologe und habe seine Millionen mit Wucherei verdient.

Einen Vorgeschmack lieferte kürzlich schon Juraj Blanar, der Vize-Chef der Smer, in einer ersten Reaktion auf den Präferenz-Anstieg von Caputova. Sie würde nur Kinderadoptionen durch homosexuelle Paare, registrierte Partnerschaften und Abtreibungen propagieren, meinte er. Ihre liberale Sicht „trampelt auf traditionellen Familien und Ehen herum“ und führe zum „Verfall der Gesellschaft“. Daher lehne er sie eindeutig ab.

Auch bleibt abzuwarten, ob die Slowakei tatsächlich schon bereit ist für eine Frau als Präsidentin. Bei einer Stichwahl zwischen Caputova und Sefcovic könnten sich traditionelle konservative Wähler in ländlichen Regionen schnell dem männlichen Kandidaten zuwenden. Diese Erfahrung machte 2009 auch die spätere Premierministerin Iveta Radicova, als sie in der zweiten Wahlrunde dem zweimaligen Präsidenten Ivan Gasparovic unterlag.

Letztes Jahr lehnte die Slowakei schließlich auch eine Ratifizierung der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) definitiv ab, die noch unter Radicova unterschrieben worden war. Der Widerstand konservativer Bevölkerungskreise war einfach zu groß.