Andreas Salcher: „Ich glaube an das Prinzip der Selbstverantwortung“
Mit seiner Kritik am Bildungssystem wurde der ehemalige ÖVP-Politiker Andreas Salcher vor mehr als zehn Jahren zum Bestsellerautor. Seitdem sind eine Reihe von Ratgeberbüchern erschienen, die unter anderem auch zur Innenschau einladen. Ein Gespräch über Entwicklungsstufen, Reflexion und Empathie.
Zuletzt ist von Ihnen „Das ganze Leben in einem Tag“ erschienen. Vor einer Weile haben Sie 24-stündige Seminare angeboten ...
Andreas Salcher: ... das ist lange her, aber das war die Inspiration für das Buch. Die Grundidee war, die persönliche Zeit zu erleben. Und 24 Stunden ohne Handy, ohne Uhr in einem abgeschlossenen Seminarhotel zu erleben. Die Leute waren begeistert.
Planen Sie eine Neuauflage?
Salcher: Ökonomisch war das Ganze kein Erfolg. Wir waren drei Trainer, es war wie eine Poptour mit Requisiten und Umbauten. Ich wollte schon lange ein Buch daraus machen, hab’ aber nie den richtigen Zugang gefunden. Vergangenen Sommer hat sich der Knopf gelöst, das Buch hat aber nur wenig mit dem 24-Stunden-Seminar zu tun.
Bislang waren fast alle Ihre Bücher Bestseller. Wie groß ist der Druck bei einem neuen?
Salcher: Wenn man Bücher schreibt, will man auch, dass sie gelesen werden. Mein bekanntestes Buch ist „Der talentierte Schüler und seine Feinde“. Mit 30.000 Stück ist das aber nicht mein bestverkauftes. Von „Meine letzte Stunde“ und der „Verletzte Mensch“ waren es jeweils 50.000 verkaufte Exemplare. Das sind beides Bücher, in denen es um die Innenwelt des Menschen geht. Der Buchmarkt ist in keiner guten Position, da muss man sich schon genau überlegen, was man macht.
In „Das ganze Leben in einem Tag“ unterteilen Sie Lebensabschnitte in Tagesstunden. Die zwölfte Stunde umfasst z. B. das 41. bis 45. Lebensjahr.
Salcher: Ich orientiere mich an dem „Acht Stufen der Lebensentwicklung“-Modell von Erik H. Erikson. Auf jeder dieser Stufen hat der Mensch etwas zu bewältigen. Gelingt dies nicht, kommt man nicht auf die nächste Stufe. Auch in Hermann Hesses berühmtem Gedicht „Stufen“ steckt eigentlich die ganze Lebensweisheit drin: Wenn du nicht mit deiner ganzen Kraft und Freude deine Jugend auslebst, vergeudest du sie. Aber wenn du dich im Alter nur beklagst, dass die Jugend vorbei ist, dann bist du ein Dummkopf, weil das nichts mit würdigem Alter zu tun hat.
Was bringt es, das Buch in einem Stück zu lesen?
Salcher: Mein Buch ist ein Reflexions- und kein Ratgeberbuch. Immer weniger Leute nehmen sich die Zeit, drei, vier Stunden zu lesen. 95 Prozent der Leser beginnen bei ihrem eigenen Lebensjahr. Danach empfehle ich die 25. Stunde. Das einzige Kapitel, in dem ich Ratschläge gebe: Egal, wie alt du bist, in diesem Moment geht es um das Jetzt. Eine Frau hat mir geschrieben, dass sie ein langjähriges Problem mit ihrem Bruder hatte. Nachdem Sie die Passage über Vergebung gelesen hat, hat sie ein Treffen arrangiert, das war für beide sehr befreiend. Es ist großartig, wenn ein Buch so was auslöst.
Mit „Der talentierte Schüler“ haben Sie eine Bildungsdebatte angestoßen. Wie beurteilen Sie die Wiedereinführung von Noten?
Salcher: Die Diskussion geht am Kern vorbei, genauso wie die Diskussionen über die Herbstferien. Das sind alles keine relevanten Faktoren. Über das Wichtige traut man sich nach wie vor nicht drüber: Wir brauchen ein massives Investment in die Kindergärten, weil man dort viele soziale Nachteile kompensieren kann, wir brauchen ein ganztägiges Schulsystem und ein Lehrerbild, das ins 21. Jahrhundert passt.
Wie Sebastian Kurz haben Sie in sehr jungen Jahren eine Karriere in der ÖVP gestartet. Das Christlich-Soziale der Partei ist laut Kritikern endgültig verloren gegangen.
Salcher: Ich komme nicht vom religiösen Flügel, ich habe mich immer als bürgerlichen Liberalen gesehen. Bürgerlich heißt für mich Rechtsstaatlichkeit, Leistungsorientierung und Solidarität mit denen, die aus eigener Kraft nicht der Not entkommen können.
Es scheint generell an Empathie zu mangeln. Das schreiben Sie in „Ich habe nichts gewusst“ auch angesichts der Tatenlosigkeit, was die Zerstörung des Planeten oder das Elend anderer anbelangt.
Salcher: Kein Zufall, dass das eines meiner am wenigsten erfolgreichsten Bücher ist. In „Ich habe nichts gewusst“ geht es darum, nicht der Politik oder den Konzernen die Schuld zu geben, sondern die eigene Mitverantwortung zu erkennen. Diese Botschaft ist nicht angekommen, so was wollen nur die wenigsten Menschen hören. Trotzdem glaube ich fest an das Prinzip der Selbstverantwortung.
Das Gespräch führte Silvana Resch
Sachbuch macht Schule
Andreas Salcher, 1960 in Wien geboren, studierte BWL. 1987 gelangte der damalige Obmann der Jungen ÖVP Wien als jüngstes Mitglied in den Wiener Landtag, dem er zwölf Jahre angehörte. Salcher ist Mitbegründer der Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte. Er ist Unternehmensberater, Sachbuchautor und Bildungskritiker. Zuletzt erschien sein Buch: „Das ganze Leben in einem Tag“, Ecowin, 376 Seiten, 24 Euro.