Innsbruck-Land

Schicksalstage in einem Tiroler Industrieort: Ausstellung in Telfs

Die Telfer Jungfrauen-Kongregation wurde 1918/19 zur politischen Agitation eingesetzt.Gemeindechronik Telfs.
© Marktegemeinde Telfs

Wie vielschichtig der Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg in Tirol war, zeigt eine Ausstellung in Telfs. Ein Besuch zum Weltfrauentag.

Von Sabine Strobl

Telfs –Im Kleinen spiegelt sich der große Lauf der Geschichte. Wie sehr sich der Erste Weltkrieg abseits von Kriegsschauplätzen und politischen Parketten auf das Leben jedes Einzelnen auswirkte, bildet derzeit im Noaflhaus die Ausstellung „Telfs 1918 – Zusammenbruch, Umbruch, Aufbruch“ ab. „Die Frauen und Kinder waren hier die Leidtragenden“, sagt Kurator und Historiker Stefan Dietrich im Gespräch mit der TT. Telfs mit seinen damals 3000 Einwohnern war kein Bauerndorf, sondern eine (Textil-)Industriegemeinde, welche von der Hungersnot hart betroffen war. Auf eine Ankündigung hin, dass es am Abend Brot in der Arbeiterbäckerei geben könnte, standen die Menschen den ganzen Tag lang an. Ein Zeitungsbericht erwähnt etwa, wie Fabriksarbeiterinnen auf ihren Tageslohn verzichteten, um einen Laib Brot zu bekommen.

Zudem fordert die Spanische Grippe zahlreiche Todesopfer im Ort. Als sich die Kapitulation der Habsburgermonarchie anbahnt, bleibt die einquartierte k. u. k. Militäreinheit ratlos zurück. In Telfs bricht beinahe eine kleine Revolution aus. Lebensmittel, Schuhe und Waffen wurden geplündert. Es herrscht Chaos.

In der Ausstellung, von Dietrich auf den Punkt gebracht und von Christian Höller grafisch umgesetzt, leitet ein internationaler Abspann zum Aufbruch in die Demokratie über. Arbeitervertreter sollten in den Gemeinderat aufgenommen werden. Und die Frauen erhielten vor hundert Jahren das Wahlrecht. Wie in anderen Gemeinden buhlen Christlich-Konservative und Sozialdemokraten um die Stimmen der Frauen. Der Pfarrer ist von seiner Kanzel aus im Wahlkampfeinsatz. Die Jungfrauen-Kongregation hält in ihrer Chronik (1919) zum Umbruch fest: „Zum ersten Mal war das Wahlrecht auch der österreichischen Frauenwelt zuerkannt, ja unsere junge Republik legte uns sogar die Wahlpflicht auf.“

Der Lokalhistoriker stößt nicht nur, wenn er für Ausstellungen arbeitet, immer wieder auf private Quellen. Vor Jahren sah er etwa die persönlichen Aufzeichnungen einer Telfer Bürgerin ein. Sie beschreibt letzte militärische Handlungen, berichtet von Plünderungen, Fleischpreisen, Unruhe und Gerüchten. Am 12. November 1918, als in Wien die Erste Republik ausgerufen wurde, notierte sie verstört: „Die alte Habsburgermonarchie ist nicht mehr. Wir leben unter republikanischer Zeit. – Ich kann es nicht sagen, welche Eindrücke dieser Wechsel in tausend und Millionen Herzen hinterlassen – vom tollsten, irrwitzigen Jubel bis zur tränenlosen, totwunden Trauer.“

Telfs 1918 – Zusammenbruch, Umbruch, Aufbruch: bis 30. März.

Telfs war kein Bauerndorf, sondern ein Industrieort, wo die Hungersnot ähnliche Auswirkungen wie in Großstädten hatte.
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