Graben und grübeln: Kenah Cusanits Roman führt an den Turm zu „Babel“
Wien (APA) - Heinrich Schliemann kennt man. Er grub Troja aus und fand den Schatz des Priamos. Aber wer kennt Robert Koldewey? Der deutsche ...
Wien (APA) - Heinrich Schliemann kennt man. Er grub Troja aus und fand den Schatz des Priamos. Aber wer kennt Robert Koldewey? Der deutsche Archäologe (1855-1925) legte die Prozessionsstraße von Babylon und die Fundamente des legendären Turms von Babel frei. In ihrem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Debütroman „Babel“ setzt ihm Kenah Cusanit nun ein literarisches Denkmal.
Das bereits hochgelobte Buch der 40-jährigen Berliner Altorientalistin und Ethnologin, die bisher mit Essays und Gedichten hervorgetreten war, ist kein Abenteuerbuch a la „Götter, Gräber und Gelehrte“. Es nähert sich seinem Sujet nachdenklich, aus einer krisenhaften, kränklichen, immobilen Perspektive.
Wir schreiben das Jahr 1913, der Erste Weltkrieg beginnt sich klar am Horizont abzuzeichnen, und der Grabungsleiter, der mit Blinddarmentzündung außer Gefecht gesetzt ist, macht sich Gedanken darüber, wie die tausenden Tonziegel aus der Zeit Nebukadnezars des Zweiten, die er ausgegraben oder im Baumaterial später errichteter Gebäuden gefunden hat, später dem Zugriff der Sieger entzogen werden können. Denn gewinnen würden den Krieg die Engländer, dessen ist sich Koldewey sicher, doch erst wenn die Funde nach Berlin geschifft und dort als Ischtartor und Prozessionsstraße wieder zusammengebaut werden können, wird sich die Grabungskampagne für seine Auftraggeber gelohnt haben.
Cusanit schildert die Archäologenarbeit im Zweistromland weniger als heroischen Akt denn als ständigen Kampf gegen die widrigen Umstände vor Ort, wo einem Hitze, Staub, Krankheit und die Begehrlichkeiten unterschiedlichster rivalisierender Stammesführer die Arbeit schwer machen. Mindestens genauso viel Energie verlangt dem Wissenschafter aber der Kleinkrieg gegen die tausende Kilometer entfernte heimatliche Bürokratie ab. Alles muss über die Deutsche Orientgesellschaft in Berlin abgewickelt werden, die im Gegenzug herzeig- und verwertbare Ergebnisse erwartet: Publikationen, Funde, Erkenntnisse.
Für diese Gemengelage an Gedanken und Kompetenzen hat Cusanit eine interessante Erzählstruktur gefunden. Die Reflexionen Koldeweys, der sich von Beginn bis zum Ende des Buches gerade einmal von seinem Krankenlager erhebt und mühsam Richtung Grabungsfeld aufbricht, wo die britische Orientreisende Gertrude Bell auf ihn wartet, sind von absurd anmutenden Briefwechseln, Listen und Tagebucheinträgen unterbrochen. Das wirkt mitunter schrullig, ist oft erstaunlich witzig, immer aber raffiniert gemacht.
Koldewey ist sich immer der Bedeutung seiner Mission bewusst. Das schließt erstaunliche Einsichten mit ein. Als er einmal von Kaiser Wilhelm, der an den Ausgrabungen lebhaften Anteil nimmt, in Privataudienz empfangen wird, begeistert sich dieser: „Und nun stelle er sich das mal vor: Berlin als Bewahrerin babylonischer Kultur, der Wiege der Zivilisation, und er in einer Reihe mit Nebukadnezar! (...) Jahrtausendealtes Wissen, von deutschen Gelehrten wiederentdeckt und zu neuem Leben erweckt.“ - „Bis dann jemand Berlin unter Trümmern ausgrabe“, lautet Koldeweys ebenso nüchterne wie visionäre Replik. Anderslautenden Gerüchten zum Trotz gibt es eben kein Ende der Geschichte. Und daher immer neue Arbeit für die Archäologen...
(S E R V I C E - Kenah Cusanit: „Babel“, Hanser Verlag, 268 Seiten, 23,70 Euro)