Andreas Schieder: „Karas ist für Kurz bloß ein Feigenblatt“
Andreas Schieder, SPÖ-Spitzenkandidat zur EU-Wahl, sieht Österreichs Bundesregierung als Bremser in Brüssel. Er fordert das Aus des Vetorechts im Rat.
Welche Grundüberlegung hatten Sie beim EU-Beitritt vor 25 Jahren?
Andreas Schieder: Ich habe das pragmatisch gesehen: besser gemeinsam als alleine. Zudem hatte ich große Hoffnung, dass es die EU schaffen wird, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf dem Kontinent für Demokratisierung und sozialen Ausgleich zu sorgen. Es war meine Überzeugung, dass Europa zum Garanten für Frieden und Wohlstand wird. Heute, knapp 25 Jahre später …
… macht sich Ernüchterung breit.
Schieder: Weil die Spaltung zwischen Arm und Reich zugenommen hat, die Integrationskraft der EU schwächer geworden ist – und die rechten Kräfte, die Europa zerstören wollen, an Einfluss gewinnen. Die EU ist aufgrund ihrer schwerfälligen Entscheidungsstrukturen nicht in der Lage, rasche Antworten zu geben. Dies ist wiederum ein Nährboden für die Rechten. Also will ich an meinen Traum von 1994 anknüpfen – und fordere eine fundamental andere EU. Die EU kann nicht nur Binnenmarkt sein, sie muss eine Sozialunion sein.
Was soll sich innerhalb der EU-Institutionen ändern, damit es Ihren Vorstellungen entspricht?
Schieder: Es gibt ein fix und fertiges Konzept einer Sozialunion, dieses wird aber nicht umgesetzt, weil sich die Konservativen querlegen. Wenn Sie die Institutionen ansprechen: Das Europaparlament hat einen Pferdefuß. Es hat kein Initiativrecht. Bei der Kommission kommt es leider immer wieder vor, dass nicht alle Kommissare die Ansprüche für den Job in der Kommission erfüllen können. Das eigentliche Problem ist der Rat, also die Regierungschefs in den Nationalstaaten. Sie sind die Bremser. Wir haben es während der österreichischen Präsidentschaft erlebt. Anstatt den Kampf gegen die Steuerhinterziehung durch die Großkonzerne voranzutreiben, stand Österreich auf der Bremse. Anstatt den Außengrenzschutz in der EU auszubauen, hat Österreich die Aufstockung von Frontex verhindert. Nicht nur die Orbáns und Kaczynskis stehen auf der Bremse, sondern eben auch die österreichische Regierung.
Im EU-Rat herrscht in Finanz- und Steuerfragen ein Vetorecht.
Schieder: Es wäre unbedingt notwendig, Mehrheitsentscheidungen festzuschreiben. Der österreichische Finanzminister ist einer, der sich gerne hinter Vetoentscheidungen versteckt, um dann in Wien große Reden zu schwingen. Bei der Finanztransaktionssteuer waren Wilhelm Molterer und Josef Pröll echte Vorreiter. Sebastian Kurz und Hartwig Löger haben die Finanztransaktionssteuer begraben. Wir kennen die zentralen Herausforderungen, von der sozialen Spaltung der Gesellschaft bis zum Klimawandel, von der Digitalisierung bis zur Macht der Konzerne. Wir müssen die EU so ausrichten, dass hierzu die notwendigen Antworten nicht durch das Veto einzelner Länder verhindert werden. Darum geht es auch in diesem EU-Wahlkampf. Da muss auch Othmar Karas Farbe bekennen. Ist er in der Lage, vom Kanzler zu verlangen, dass sich dieser für Mehrheitsentscheidungen im Rat starkmacht?
Ist Karas für Sie der ÖVP-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl?
Schieder: So wie bei jeder Wahl ist Kurz der ÖVP-Spitzenkandidat. Karas ist bloß ein Feigenblatt.
Ist die Europawahl auch eine Testwahl für Regierung und Opposition?
Schieder: Erstmals seit der Nationalratswahl kann man bei einem bundesweiten Wahlgang seine Meinung kundtun, ob man mit dem 12-Stunden-Tag und der Zerschlagung des Sozialversicherungssystems einverstanden ist oder nicht.
Wie ist es um die Kampagnenfähigkeit bei der SPÖ bestellt?
Schieder: Sehr gut. Ich bin auch davon überzeugt, dass alle wissen, was auf dem Spiel steht: Es geht um die Zukunft Europas. Sozialdemokraten wollen ein besseres, soziales Europa, kein zerstörtes Europa.
Welches Bild haben Sie von der Finalität Europas?
Schieder: Die globale Absicherung des Wohlfahrtsstaates in der EU. Europa muss die Antithese zu Donald Trump sein.
Das Gespräch führte Michael Sprenger.