Neuseeland

Nach Terroranschlag: Den Hass mit Zusammenhalt überwinden

Auch in Hastings hat sich vor der Moschee eine Gedenkstätte aus Blumen ergeben.
© Katrin Siller

Der Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch hat die Neuseeländer zusammengeschweißt – alle.

Von Kathrin Siller aus Neuseeland

Napier City — Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. „Da ist eine Schießerei in Christ­church", ruft Arbeitskollegin Catherine. Minütlich wird die Opferzahl nach oben korrigiert und bald ist klar, dass es sich um einen Terroranschlag handeln muss, auch wenn das niemand so wirklich glauben will.

In Neuseeland passiert normalerweise wenig Weltbewegendes. Gang-Kriminalität, häusliche Gewalt, Autounfälle ja, aber Morde und Katastrophen sind, wenn man von Christchurchs Horror-Erdbeben 2011 absieht, rar. Laut Global Peace Index ist Neuseeland das zweitfriedlichste Land der Welt und damit einen Platz vor Österreich. Für die meisten Neuseeländer war der Terroranschlag daher nicht nur ein Anschlag auf ihre muslimischen Mitbürger, sondern ein Anschlag auf die Werte ihres Landes, Toleranz und Offenheit.

Barbara Stokes kann momentan keine Nachrichten mehr hören. Stokes ist Britin und lebt seit 14 Jahren in Napier — einer Kleinstadt in der Region Hawke's Bay an der Ostküste der Nordinsel. „Neuseeland ist der letzt­e Platz auf der Welt, wo man mit so etwas gerechnet hätte", sagt die Marketingexpertin: „Genau deshalb sind wir auch alle so betroffen. Weil es offensichtlich wirklich keinen sicheren Ort mehr gibt."

Der letzten Volkszählung zufolge sind 23 Prozent der in Neuseeland lebenden Bevölkerung nicht dort geboren, in Auckland ist es über die Hälfte. Neuseeland ist ein Einwandererland. Muslime allerdings sind eine Minderheit, nur ein Prozent der neuseeländischen Bevölkerung bekennt sich zum Islam.

Arbeitskollegin Hafsa Quazi ist eine davon. Hafsa wurde als viertes Kind pakistanischer Einwanderer geboren. Ihr Vater, ein angesehener Wissenschafter, ist 1960 nach Christchurch ausgewandert. Hafsas ältere Geschwister sind in Christchurch geboren, ihr ältester Bruder ist mit einer Neuseeländerin verheiratet. „Wir sind Neuseeländer", sagt sie. Hafsas Vater hat die Al-Noor-Moschee, die zum Schauplatz der ersten Attacke wurde, mit aufgebaut und 1984 eröffnet. „Als Ort des Friedens", wie Hafsa betont, „Muslime und Nicht-Muslime haben zusammen einen Baum gepflanzt."

Umso entsetzter sei sie über das, was passiert ist. Wenn sie freitags mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn in die kleine Moschee nach Hastings geht — es ist die einzige Moschee in der Region Hawke's Bay —, spüre sie Unbehagen. „Es war ein Einzeltäter mit extremistischen Idee­n. Das ist sicher nicht das, was Neuseeland ausmacht", versucht sie sich dann zu beruhigen.

Am Tag vor dem Terror­anschlag sei das Buch „Hybrid of Peace" ihres Vaters erschienen. „Darin zeichnet er sein Leben nach und spricht davon, wie herzlich er von den Neuseeländern seinerzeit aufgenommen wurde", erzählt Hafza traurig.

Auch Hafiz Bakri geht mit seinem vierjährigen Sohn jeden Freitag zum Gebet in die Moschee von Hastings. Bakri ist als Sohn malaysischer Einwanderer in Schweden aufgewachsen und vor zehn Jahren zum Studieren nach Neuseeland gekommen. „Meine Uni in Palmerston North war absolut multikulturell, und ich bin nie mit Rassismus in Berührung gekommen", sagt er.

Seiner Frau allerdings gehe es anders. Sie trägt Kopftuch und hatte in der Vergangenheit häufig das Gefühl, schräg angeschaut zu werden. Jetzt allerdings verspüre sie Rückenwind, als ob die schrecklichen Vorkommnisse die Akzeptanz gegenüber Muslimen verstärkt hätten. „Die Unterstützung, die die muslimische Bevölkerung hier bekommen hat, ist einzigartig", ist Bakri überzeugt. Bei einer Mahnwache hab­e eine Neuseeländerin seinem Sohn ein Pounam­u, einen geschnitzten Jade-Anhänger, geschenkt und ihnen gesagt, wie traurig sie sei.

Es ist unglaublich, wie sehr das Land jetzt zusammenhält. An den Mahnwachen und Trauermärschen beteiligen sich Zehntausende. Auf der Give­alittle-Spendenhomepage wurden bislang acht Millionen Dollar gespendet. Am Freitag stand das Land um 13.30 Uhr zwei Schweigeminute­n lang völlig still.

Die meisten Neuseeländer sind überzeugt davon, dass ein Akt des Hasses nur mit Zusammenhalt und Solidarität überwunden werden kann. Neuseeland soll ein Land bleiben, in dem alle sicher leben können. Aber wie vor dem Anschlag, so sagen viele meiner Bekannten hier, wird es nie wieder sein.

Kathrin Siller war TT-Redakteurin, bis sie vergangenes Jahr mit ihrer Familie nach Neuseeland ausgewandert ist.

In der dortigen Fachhochschule EIT haben Studenten und Lehrer Zettel mit Botschaften an die Familien der Opfer aufgehängt.
© Katrin Siller
Hafiz Bakri mit seiner Familie: Unterstützung für Muslime.