Türkische Kommunalwahlen unter dem Einfluss der Wirtschaftskrise
Ankara (APA/AFP) - Die türkische Wirtschaft befindet sich im Abschwung, die Inflation liegt bei 20 Prozent und immer mehr Firmen melden Konk...
Ankara (APA/AFP) - Die türkische Wirtschaft befindet sich im Abschwung, die Inflation liegt bei 20 Prozent und immer mehr Firmen melden Konkurs an: Die Nachrichten sind nicht gut für Präsident Recep Tayyip Erdogan vor den Kommunalwahlen am 31. März. Der bisherige Erfolg seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) beruht schließlich nicht zuletzt auf der guten Wirtschaftslage, die das Land unter ihrer Regierung erlebte. Doch nun ist es in die Rezession gerutscht, und viele Türken können sich selbst grundlegende Lebensmittel kaum noch leisten.
„Die AKP erreicht das Ende ihres Wirtschaftsmodells, der Lebensstandard steigt nicht mehr“, sagt der Professor für internationale Beziehungen, Berk Esen, von der Bilkent Universität in Ankara. Erstmals seit der globalen Finanzkrise 2009 ist die Wirtschaftskraft des Landes zwei Quartale in Folge geschrumpft. Hatte das Wachstum 2017 trotz aller politischer Turbulenzen noch 7,4 Prozent erreicht, lag es vergangenes Jahr nur noch bei 2,6 Prozent.
Die Wähler der Mittelklasse, die bisher für die AKP gestimmt haben, weil sie von ihrer Politik profitiert hätten, könnten bei diesen Wahlen Zuhause bleiben, sagt Esen. Seit der Währungskrise im vergangenen Sommer, als die Lira inmitten eines Streits mit den USA dramatisch an Wert verlor, ist die Inflation in die Höhe geschnellt. Getrieben von höheren Preisen für Treibstoff und andere Importwaren haben sich gerade Lebensmittel massiv verteuert.
Zwar ist die Inflation etwas gefallen, seitdem sich die Lira stabilisiert hat, doch lag sie im Februar immer noch bei knapp 20 Prozent. Bei Lebensmitteln überstieg sie sogar 29 Prozent, und manche Grundnahrungsmittel wie Zwiebeln oder Melanzanis sind so teuer, dass viele Türken sie sich kaum noch leisten können. Während Experten auf Faktoren wie widriges Wetter verweisen, machte Erdogan Spekulanten für die hohen Preise verantwortlich.
In Reden ging er sogar so weit, von einem „Terrorangriff“ auf die Türkei zu sprechen. „So wie der Staat die Terroristen in ihren Höhlen erledigt hat, werden wir auch jene erledigen, die Terror in den Großhandelsmärkten säen“, rief der Präsident bei einem Wahlkampfauftritt. Um die Märkte zur Senkung der Preise zu zwingen, richtete die Regierung Mitte Februar eigene Verkaufsstände ein, die verbilligtes Gemüse anbieten.
In Istanbul und Ankara, die besonders unter den hohen Lebenshaltungskosten leiden, gibt es seitdem auf zentralen Plätzen Tomaten, Kartoffeln und Zwiebeln zu Vorzugspreisen zu kaufen. Die Opposition bezeichnete die langen Schlangen vor den Verkaufsständen als „Armutsschlangen“, doch die AKP weist dies zurück. Statt über hohe Preise zu klagen, sollten die Leute lieber den Kampf gegen die kurdische PKK-Guerilla würdigen, sagte Erdogan.
Umfragen zeigen aber, dass für die Wähler die Wirtschaft das wichtigste Thema ist. Nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der oppositionellen CHP, Seyit Torun, ist es daher „unzweifelhaft“, dass die Wirtschaftslage das Wahlergebnis beeinflussen wird. Der AKP-Vize Cevdet Yilmaz sagte dagegen, die Verluste würden „marginal“ sein. „Wenn es wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt, ist die AKP die richtige Antwort“, versicherte er.
Viele Wähler dürften dies inzwischen anders sehen, doch ist keineswegs ausgemacht, dass sie die AKP massenhaft abstrafen werden. „Auch wenn Wähler sie bestrafen wollen, wechseln sie aus ideologischen Gründen wohl nicht zur Opposition“, sagt der Politologe Emre Erdogan von der Istanbuler Bilgi Universität. Auch bei den vergangenen Wahlen hatte sich gezeigt, dass weniger Interessen als Identitäten das Wahlverhalten bestimmen.
Gerade da Erdogan sämtliche Gegner als Landesverräter brandmarkt, dürften viele seiner bisherigen Wähler zögern, ins gegnerische Lager zu wechseln - aller Unzufriedenheit zum Trotz.