May beantragt Brexit-Aufschub: EU-Partner stellen Bedingungen
Großbritannien muss bis zum 11. April entscheiden, ob es an der EU-Wahl teilnimmt. Damit ist dieses Datum praktisch der letzte Termin, bis zu dem das Unterhaus dem Brexit-Abkommen zugestimmt haben muss.
Brüssel, London – Nach dem britischen Antrag auf Verschiebung des Brexit-Datums droht weiterhin ein ungeregelter EU-Austritt am 29. März. EU-Kommission, Mitgliedsstaaten und die britische Regierung haben sich am Mittwoch nämlich uneins über die Vorgangsweise gezeigt. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian drohte sogar mit einem Hard Brexit, sollte London keine Ratifizierung des Austrittsdeal zusagen.
Die EU-Kommission forderte den am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel auf, wegen der Europawahl nur einer Verlängerung bis zum 23. Mai oder bis Ende des Jahres zuzustimmen. Die britische Premierministerin Theresa May betonte am Abend, dass sie keine Verlängerung über den 30. Juni hinaus wolle. Es sei höchste Zeit, eine Entscheidung zu fällen. Sie selbst werde weiterhin „Tag und Nacht“ um Unterstützung werben. „Aber ich bin nicht bereit, den Brexit über den 30. Juni hinaus zu verzögern.“ An ihre Mitbürger gerichtet sagte sie: „Ich bin auf eurer Seite.“ Auf Spekulationen, sie könnte im Falle einer erneuten Ablehnung Neuwahlen ansetzen, ging May nicht ein.
Ohne eine Garantie von Premierministerin May, dass sie den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag doch noch durchs Parlament bringen werde, werde der Gipfel einen Aufschub ablehnen, betonte Le Drian. „Unsere Botschaft ist eindeutig: ratifiziert das Abkommen oder tretet ohne Abkommen aus.“ Einer Verschiebung des Austrittstermins müssen alle 27 EU-Partner zustimmen.
Verschiebung schließt ungeregelten Brexit nicht aus
May ist mit ihrem Brexit-Vertrag schon zwei Mal im Unterhaus gescheitert, und eine Mehrheit ist weiter nicht in Sicht. Angesichts dessen hatte das Parlament vergangene Woche die Regierung aufgefordert, einen Aufschub zu beantragen, um einen ungeregelten Brexit mit unabsehbaren wirtschaftlichen und politischen Folgen zu vermeiden. Die Verschiebung soll dem Parlament Zeit verschaffen, die Ausführungsgesetze zu beraten. May betonte, eine Verschiebung des Brexit schließe einen ungeregelten Austritt nicht aus. Kommende Woche will die Regierung laut May einen dritten Anlauf unternehmen, für ihren Brexit-Vertrag im Unterhaus eine Mehrheit zu bekommen. Parlamentspräsident John Bercow hatte sich diese Woche aber geweigert, eine Abstimmung über den unveränderten Deal anzusetzen.
Der 30. Juni ist aus Sicht der EU nicht unproblematisch. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe May in einem Telefonat am Vormittag darauf hingewiesen, dass Großbritannien bei einer Verlängerung der EU-Mitgliedschaft über den 23. Mai hinaus an der Europawahl teilnehmen müsse, sagte eine Kommissionssprecherin. May sagte dazu im Unterhaus und in ihrem Antrags-Schreiben an EU-Ratspräsident Donald Tusk, niemand habe ein Interesse daran, dass Großbritannien an der Abstimmung teilnehme. Die Vorstellung, dass in Großbritannien neue Europa-Abgeordnete gewählt würden, sei inakzeptabel.
Ratspräsident Tusk sagte, man habe jetzt den kritischsten Punkt des Austrittsverfahrens erreicht. „Selbst wenn die Hoffnung für einen endgültigen Erfolg schwach oder sogar illusionär erscheinen mag und obwohl eine Brexit-Ermüdung sichtbar und gerechtfertigt ist: Wir können nicht aufhören, eine positive Lösung zu suchen, bis zum allerletzten Moment“, sagte Tusk. Er erwarte keinen EU-Sondergipfel in der kommenden Woche, werde aber nicht zögern, zu einem solchen einzuladen, wenn es nötig werden sollte.
Abgeordnete warfen May „Erpressung“ vor
Die EU-Kommission forderte die Staats- und Regierungschefs auf, sich zwischen einer Verschiebung bis zum Beginn der Europawahl am 23. Mai oder bis zum Jahresende zu entscheiden. Die EU sollte nur einen neuen Austrittstermin anbieten, da ansonsten die Ungewissheit auf unbestimmte Zeit verlängert werde, heißt es in einem Kommissionspapier, das Reuters einsehen konnte.
Großbritannien muss bis zum 11. April entscheiden, ob es an der Wahl teilnimmt. Damit ist dieses Datum praktisch der letzte Termin, bis zu dem das Unterhaus dem Brexit-Abkommen zugestimmt haben muss.
Abgeordnete der oppositionellen Labour-Partei warfen May „Erpressung, Nötigung und Bestechung“ vor. Mit ihrem Antrag auf einen nur kurzen Aufschub zwinge sie die Abgeordneten, sich zu entscheiden zwischen der Annahme Abkommens oder dem ungeregelten Brexit. Labour will den Verbleib des Landes in der Zollunion und darüber hinaus eine enge Ausrichtung an der EU. Die Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei sperren sich gegen einen längeren Aufschub, weil sie darin die Gefahr sehen, dass es dann keinen Brexit geben könnte. Einer von ihnen erklärte, der Antrag auf Verschiebung sei Verrat am britischen Volk. Die Briten hatten im Juni 2016 in einem Referendum mit 52 gegen 48 Prozent für den EU-Austritt gestimmt.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) signalisierte am Mittwoch im parlamentarischen EU-Hauptausschuss einer Verschiebung positiv gegenüber zu stehen. Die deutsche Regierung begrüßte den „klaren Antrag“ Großbritanniens. Nun müssten die Verhandlungen auf dem Gipfel abgewartet werden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert unter Verweis auf die nötige Einstimmigkeit. Ein ungeregelter Brexit sei in niemandes Interesse. (APA/Reuters/dpa)