Deutscher in der Türkei wegen Präsidentenbeleidigung vor Gericht

Ankara (APA/AFP/dpa) - Weil er in einem Tweet das Wort „bascalan“ (Ober-Dieb) benutzt hatte, muss sich in der Türkei ein Deutscher wegen Bel...

Ankara (APA/AFP/dpa) - Weil er in einem Tweet das Wort „bascalan“ (Ober-Dieb) benutzt hatte, muss sich in der Türkei ein Deutscher wegen Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan verantworten. Aret D. erschien am Donnerstag vor einem Gericht in Istanbul wegen des Vorwurfs, vor der Parlaments- und Präsidentenwahl vom 24. Juni 2018 den Staatschef beleidigt zu haben.

D., Mitarbeiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, hatte am Vortag der Wahlen im Kurzmitteilungsdienst Twitter kritisiert, dass die regierungsnahen Medien nicht über die große Kundgebung der Opposition in Istanbul berichteten, dafür aber über die viel Kleinere des „bascalan“. Im Prozess sagte Aret D., er habe mit mehreren Tweets türkische Medien dafür kritisieren wollen, dass sie Übertragungen von Wahlkampfauftritten der Opposition für Reden des Präsidenten abgebrochen hatten. Den Beitrag mit dem umstrittenen Wort habe er schon zwei Stunden später wieder gelöscht. Da hatte ihn aber schon ein Follower aus deutsch-türkischen Kreisen in Deutschland angezeigt.

Das Wort - ein Spiel mit dem Wort „basbakan“ (Ministerpräsident) - wird von der Regierung mit besonderem Missfallen betrachtet. Es ging viral, nachdem 2013 im Internet Audio-Aufnahmen aufgetaucht waren, die massive Korruption durch den damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Erdogan beweisen sollten. Der hat die Vorwürfe bestritten.

D. und sein Anwalt Veysel Ok argumentierten, dass der Beitrag keine Beleidigung des Präsidenten sei, da Erdogan im Wahlkampf nicht als Präsident, sondern als Vorsitzender der AKP aufgetreten sei, und plädierten deshalb auf Freispruch.

Der Paragraf der Präsidentenbeleidigung stammt aus einer Zeit, als der Präsident noch parteilos war. Erst seit der umstrittenen Verfassungsänderung von 2017 kann er einer Partei angehören.

Die Ermittlungen gegen Politiker und Geschäftsleute aus dem Umfeld des Regierungschefs zwangen drei Minister zum Rücktritt, bevor Erdogan deren Stopp erzwang und die beteiligten Polizisten und Staatsanwälte versetzen ließ. Nach seiner Darstellung war es ein Umsturzversuch der Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die er auch für den gescheiterten Militärputsch von Juli 2016 verantwortlich macht.

Seit Erdogan im August 2014 zum Staatschef gewählt wurde, hat er zahlreiche Menschen wegen Präsidentenbeleidigung verklagt. Darauf steht vier Jahre Haft. Im Fall von D. wurde das Verfahren nach kurzer Anhörung auf den 8. Oktober vertagt. D., der in Istanbul geboren wurde, aber nur noch den deutschen Pass besitzt, bedauerte die lange Zeit bis zum nächsten Termin. Der „psychologische Druck“ halte an, sagte er.

Es steht Aret D. frei, nach Deutschland zu reisen. Eine Meldepflicht bei der Polizei und eine Ausreisesperre waren schon vor dem Prozess aufgehoben worden, wie sein Anwalt bestätigte. Auch der ursprüngliche Anklagepunkt der Volksverhetzung galt nicht mehr.