„Hinter den Lärm des Alltags“: Jon Hopkins hypnotisierte in der Arena
Wien (APA) - Wenn es bei Jon Hopkins knallt, dann ordentlich: Der britische Technomusiker hat ein Händchen dafür, melancholische Melodien mi...
Wien (APA) - Wenn es bei Jon Hopkins knallt, dann ordentlich: Der britische Technomusiker hat ein Händchen dafür, melancholische Melodien mit drückenden Beats zu unterfüttern. Bewiesen hat er das am Donnerstagabend bei seinem Auftritt in der ausverkauften Wiener Arena. Letztlich sei Musik für ihn „ein Gefühl, als ob dir nichts etwas anhaben kann“. Verständlich ob dieses erhebenden, kunterbunten Sets.
Seit bald 20 Jahren ist Hopkins im weiten Feld elektronischer Musik unterwegs, hat mit Soloplatten wie „Immunity“ oder zuletzt „Singularity“ große Erfolge bis hin zu Grammy-Nominierungen einfahren können und mit so namhaften Kollegen wie Brian Eno oder Coldplay zusammengearbeitet. Man merkt schon: Der Musiker, der heuer 40 wird, fühlt sich in der Avantgarde ebenso zuhause wie im Popuniversum. Ein Umstand, der allen voran bei seinen eigenen Stücken offensichtlich wird.
Denn wo Kollegen gerne einen verkopften Zugang wählen, sich nachvollziehbaren Strukturen schon mal verschließen oder nur stumpf auf die erlösende Katharsis eines Breakdowns setzen, fließt bei Hopkins eins ins andere. Stücke wie das elegisch anhebende „Emerald Rush“ oder der Fanfavorit „Open Eye Signal“, die in Wien groß bejubelt wurden, sind für die Kopfhörer ebenso gedacht wie für die Tanzfläche. Knackige, leicht verschobene Rhythmen treffen auf fein geschnitzte Melodiebögen und lassen den Hörer eintauchen in eine eigene Welt.
Das passt auch zu Hopkins‘ Faible für Transzendentale Meditation, dem er seit einigen Jahren folgt. „Das bringt dich hinter den Lärm des Alltags, zu einem Ort der Ruhe“, verriet er vor dem Gig im APA-Interview. „Du kannst andere Aspekte deiner Selbst erreichen. Schon vorher war mir Meditation wichtig, um mit alltäglichen Dingen klarzukommen, etwa durch Atemübungen. Das Leben ist schließlich nicht entspannend“, lachte der Brite. „Aber mit Transzendentaler Meditation kannst du wirklich dein Bewusstsein erweitern.“
Musikalisch übersetzt er das in lange, gern mäandernd aufgebaute Tracks, die im Livesetting weiter verfremdet werden. Wo die Albumversionen schon mal zum Träumen einladen, legte Hopkins in der Arena hier und dort zusätzlich Hand an, schob brutzelnde Zwischenspurts ein oder zog das Tempo an, um der Erwartungshaltung seiner Anhänger gerecht zu werden. Technoparty im Punkschuppen? Funktioniert bestens, wenn dann auch die Visuals - von klaren Comicrealisierungen bis zu psychedelischer Abstraktheit - so pointiert rüberkommen. Zudem wurde Hopkins von zwei Frauen begleitet, die im Stile rhythmischer Sportgymnastik mit leuchtenden Keulen immer wieder Akzente setzten.
All das hatte eine klare Richtung, war von genauer Inszenierung geprägt. Und doch meinte Hopkins über sich selbst: „Je älter ich werde, umso mehr vertraue ich darauf, keinen Plan zu haben und lasse mich von meinem Unterbewusstsein leiten. So bekommst du die spannendsten Ergebnisse.“ Bevor er ins Studio gehe, meditiere er und lasse sich dann überraschen. „Der Instinkt übernimmt die Führung, und du folgst einfach diesen Eingebungen.“
Was nicht bedeutet, dass der - auf wie abseits der Bühne - extrem ruhig und ausgeglichen wirkende Produzent nicht auch schwierig sein kann. „Ich bin sehr widersprüchlich“, musste er schmunzeln. „Zwar kann ich sehr geduldig sein, aber im Studio bin ich es nicht. Mein Toningenieur könnte da viel erzählen. Wenn ich etwas umsetzen will, muss das sofort funktionieren. Ich hasse es, wenn die Technologie im Weg ist und etwas nicht klappt.“
Hopkins kann sich aber auch Zeit lassen: Die grundlegende Idee für „Singularity“, bei einem einzigen Ton zu starten, eine große Klangreise anzuhängen und letztlich zu diesem Ausgangspunkt zurückzukehren, ist immerhin etliche Jahre alt. „Es ist schön, dass das nun Wirklichkeit wurde. Du kannst dir bei so etwas ja nie sicher sein, ob es sich noch zeitgemäß anfühlt. Aber ich wollte es einfach wachsen lassen, in seinem eigenen Tempo, ohne etwas zu überstürzen. Du pflanzt einen Samen und schaust zu, was daraus wird.“
In diesem Fall ist es das wohl kohärenteste Album seiner Karriere geworden, das den Anspruch eines großen Bogens nicht nur stellt, sondern eindrucksvoll einlöst. Ähnlich wie im Livekontext: Hopkins versteht es, unterschiedlichste Facetten seiner Kreativität so mühelos ineinanderfließen zu lassen, dass es Staunen macht. Wer das alles als höchst technische Variante bloßer Unterhaltungs- oder Tanzmusik abtut, hat die Intensität seines - an diesem Abend mit gut 80 Minuten leider zu kurzen - Sets wohl noch nicht erfahren dürfen.
Und für Hopkins geht es ohnehin nicht um die handwerkliche Komponente, jedenfalls nicht in erster Linie. „Mir ist wichtiger, dass ich wirklich tief eintauchen kann. Ich muss nicht für jeden Track, jedes Album etwas Neues erlernen oder einbauen. Die Musik soll im Vordergrund stehen. Das ist ja eigentlich eine Ironie: Ich mag Technologie nicht wirklich oder wie sie unsere Welt verändert, aber ich mag, was ich damit anstellen kann. Dennoch versuche ich mir so oft wie möglich eine Auszeit zu nehmen und nicht den ganzen Tag auf einen Bildschirm zu starren.“ Seinen Hörern bietet Jon Hopkins jedenfalls eine äußerst lohnenswerte Form von Eskapismus.
(S E R V I C E - www.jonhopkins.co.uk)