Hannes Androsch: „Europa braucht eine neue Erzählung“
„Vereinigte Staaten“ seien nötig – für eine gemeinsame Sicherheits-, Asyl- und Finanzpolitik in der EU, befindet der Industrielle und Ex-Minister Androsch.
Von Michael Sprenger
Wien — Im Rückblick betrachtet ist die EU ob ihrer Freiheits- und Friedensidee für den früheren Vizekanzler und SPÖ-Finanzminister eine „Erfolgsgeschichte". Hannes Androsch geht es nicht um die Vergangenheit. Das Wissen darum sei aber wichtig, denn: Wer diese kenne, könne auch die Zukunft gestalten. „Europa wird von innen und von außen bedroht. Ängste werden bewusst geschürt, die Biedermeierlaube aufgesucht, der Kleinstaaterei wird das Wort geredet, um das alte nationalstaatliche Denken herbeizuwünschen. Doch mit dieser ?Jeder-für-sich-Haltung' wird der Weg des Untergangs ausgeschildert", erklärt Androsch.
Darum habe er knapp zwei Monate vor der Europawahl ein aufrüttelndes Buch über die Zukunft Europas vorgelegt. „Europa braucht eine neue Erzählung, eine Geschichte für die Zukunft unserer Enkel", sagt der erfolgreiche Unternehmer im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung. Für Androsch sind die „Vereinigten Staaten von Europa" nötig. Was versteht er darunter? „Die Schaffung einer Transferunion, um die Ungleichheit zwischen den Regionen abzubauen, es braucht eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik, eine gemeinsame Asyl- und Finanzpolitik." Nur so könne der Aufstieg der Rechten, die Europa zerstören wollten, verhindert werden.
Wie sieht er die rechtsnationale Bundesregierung, die von sich sagt, eine „proeuropäische" zu sein? „Was soll denn hier proeuropäisch sein? Ein Teil dieser Regierung hat keine europäische Linie, der andere Teil verfolgt keine europäische Linie. Exemplarisch festzumachen ist dies an der Verlogenheit im Umgang mit Ungarns Orbán. Wolfgang Schüssel, ein Anhänger und Freund von Orbán, in dieser Causa als Weisen einzusetzen, ist eine Verhöhnung."
Und wie bewertet Androsch die EU-Politik der Sozialdemokratie? „So wie Europa braucht auch die Sozialdemokratie eine neue Erzählung. Sie ist noch im Industriezeitalter steckengeblieben."
Buchtipp
Mit Johannes Gadner und Bettina Poller legt Hannes Androsch ein spannendes Buch (28 Euro) über die Zukunft der EU vor. Auf 335 Seiten wird dabei auch die Vergangenheit ausgeleuchtet, damit klar wird, was auf dem Spiel steht.