Internationale Pressestimmen zur Brexit-Debatte

London (APA/dpa) - Zu einer möglichen Verschiebung des Brexit-Datums schreiben die Zeitungen am Samstag:...

London (APA/dpa) - Zu einer möglichen Verschiebung des Brexit-Datums schreiben die Zeitungen am Samstag:

„Neue Zürcher Zeitung“:

„Die EU hat Theresa May eine Gnadenfrist gewährt, doch es ist ungewiss, was am 12. April passieren wird, sollte das britische Parlament dem Austrittsabkommen ein weiteres Mal eine Abfuhr erteilen. Glasklar hingegen ist, dass Brüssel in jedem Fall London den Takt vorgibt, während der Regierungschefin in Großbritannien jeder Rest an Autorität und Glaubwürdigkeit entgleitet.

Nachdem May in Brüssel den versammelten Staats- und Regierungschefs ihre Bitte um Verschiebung des EU-Austritts vorgetragen hatte, musste sie den Verhandlungssaal wieder verlassen, während die Entscheidungsträger ihre Beratungen aufnahmen. Die Symbolkraft dieses Vorgangs ist nicht zu unterschätzen: Über die Zukunft Großbritanniens wird in Brüssel und nicht in London entschieden. „

„Times“ (London):

„Am Ende einer bedeutsamen Woche ist eine Schlussfolgerung unausweichlich. Theresa May hat nicht nur keine Lösung für die politische Krise, die Großbritannien erfasst hat, sondern sie wurde auch zu einem Hindernis bei der Suche nach einem Ausweg. Sie hat die Kontrolle über ihr Kabinett verloren, das seit Wochen einen Krieg führt. Und sie hat die Kontrolle über das Parlament verloren, das ihren Brexit-Deal zweimal mit dem jeweils größten Stimmenvorsprung in der Parlamentsgeschichte abgelehnt hat und dies allem Anschein nach auch ein drittes Mal tun wird. (...) May sollte zurücktreten, damit ein Ausweg aus dieser nationalen Notlage gefunden werden kann. Es bleibt keine Zeit mehr für die Wahl eines neuen Anführers oder für Parlamentswahlen. Was jetzt gebraucht wird, ist ein Übergangs-Premierminister, idealerweise mit parteiübergreifendem Rückhalt, der das Land durch diese entscheidenden Wochen in sichereres Fahrwasser bringen kann.“

„El Mundo“ (Madrid):

„Der Brexit ist, kurz gesagt, ein Albtraum, der einen unerträglichen Überdruss erzeugt. Es stehen jedoch so viele Interessen auf dem Spiel, dass man nur London und die Anführer der 27 Staaten dazu drängen kann, das Unmögliche zu tun, um die größte politische Krise zu lösen, der der Alte Kontinent seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegenübergestanden hat. (...)

Durch das Ultimatum liegt der Ball nun wieder in Westminster. Und wir müssen darauf vertrauen, dass dieser Countdown die britischen Parteien ein für alle Mal dazu zwingen wird, sich auf das zu einigen, was sie wollen. Bisher waren sie unfähig, dies zu tun - eine der unverantwortlichsten politischen Darbietungen, an die man sich in den westlichen Demokratien in langer Zeit erinnern kann.“

„Pravda“ (Bratislava):

„Es gibt noch immer allzu viele mögliche Szenarien für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Denn gewiss ist nur, dass er nicht so geschehen wird wie ursprünglich geplant, nämlich am 29. März. Vielleicht verlässt uns Großbritannien am 12. April, vielleicht am 22. Mai, eventuell auch irgendwann später oder überhaupt nicht.

Auch diese letzte Möglichkeit ist noch nicht definitiv ausgeschlossen, denn während Theresa May am Mittwoch im Parlament ‚über nichts‘ redete, startete auf den britischen Inseln eine Petition für die völlige Absage des Brexit. Schon drei Millionen Menschen haben unterschrieben und ihre Zahl steigt rasch. Für dieses Wochenende ist in London eine Demonstration angekündigt, bei der eine massenhafte Beteiligung erwartet wird. Sollte jedoch das britische Parlament erneut die Vereinbarung mit der EU ablehnen und die EU sich daraufhin weigern, Großbritannien einen weiteren Aufschub zu gewähren, träte das schlimmste mögliche Szenario in Kraft - ein Brexit ohne Vereinbarung.

Wenn dereinst die Historiker über den Brexit schreiben werden, wird das alles nach einer unglaublichen Geschichte aussehen, die mit einer völligen Banalität begann: Am Anfang stand ein ehrgeiziger Politiker, der mit einem unüberlegten Referendum seine Haut retten wollte, was ihm aber entglitt, worauf das ganze Land in einen Abgrund stürzte.“

„de Volkskrant“ (Amsterdam):

„Sollte es darauf hinauslaufen, trüge May dafür einen großen Teil der Verantwortung. Mit ihrer Standpauke gegen Querulanten im Parlament hat sie potenzielle Überläufer gegen sich aufgebracht und so die Möglichkeit (eines EU-Austritts ohne Abkommen) noch vergrößert. Mit ihrem andauernden Widerstand gegen eine längerfristige Verschiebung des Brexits verringert sie zugleich die Lust der Befürworter eines harten Brexits, doch noch für ihren Deal zu stimmen. Noch hoffen sie, dass ein schneller Austritt ohne Vertrag noch möglich ist. Um das zu verhindern, müssen nun die Abgeordneten die Kontrolle über den Brexit-Prozess übernehmen, wenn Mays EU-Deal in der kommenden Woche ein drittes Mal durchfällt.“