Eberharter wird 50: „Für meinen Geschmack ist alles schon zu extrem“
Stephan Eberharter feiert am Sonntag seinen 50. Geburtstag. Die Ski-Legende tut dies im Kreise ihrer Liebsten. Was ihn heute antreibt, wofür er einsteht und warum ihm die Dopingdebatte Rätsel aufgibt.
Ein halbes Jahrhundert Stephan Eberharter, wie klingt das?
Stephan Eberharter: Keine große Sache. Ich halte es mit dem Spruch: Man ist so alt, wie man sich fühlt. Und ich fühle mich um einiges jünger als 50 und kann nach einer langen, intensiven Karriere eigentlich noch alles machen.
Wie wird gefeiert?
Eberharter: Im Kleinen. Wir werden mit der Familie essen gehen. Und vorab ist ein Hüttentag mit fünf meiner Freunde geplant. Ein bisserl saunieren, etwas grillen und ein paar feine Stunden verbringen.
Klingt sehr vernünftig.
Eberharter: Es ist das, was mir taugt.
Sind unter Ihren besten Freunden auch ehemalige Teamkollegen?
Eberharter: Nein, selbst die Kontakte zu den Leuten, mit denen ich besser gekonnt habe, haben sich verflüchtigt. Mit einem Strobl Fritz oder Trinkl Hannes telefoniere ich ab und zu und wir sehen uns ein-, zweimal im Jahr. Aber mit allen anderen ist der Kontakt eigentlich komplett abgerissen. Ausgenommen Peter Rzehak, der ja hier im Golf-Club Uderns Manager ist und für die Schultz-Gruppe auch im Winter auf den Skipisten tätig ist.
Sie galten während Ihrer Karriere als Einzelgänger und überzeugter Single ...
Eberharter: Man muss sich das so vorstellen: Ich bin mit zehn weg aus dem Tal, war erst in der Skihauptschule Neustift, dann in Stams – und war auch später in einer komplett anderen Welt. Und wenn du einmal daheim bist, triffst du dich auch nicht unbedingt mit Freunden. Du brauchst Ruhe, deine ein, zwei Tage, um zu regenerieren. Und ins Kaffeehaus kannst du auch nicht gehen, weil dich da die Leut’ regelrecht überfallen. Als ich 2004 aufgehört habe, war’s für mich auch eine Art Resozialisierungsprozess.
Wenn Sie es ansprechen: Sie haben sich drei Jahrzehnte lang mit Haut und Haar dem Skirennsport verschrieben, lebten ein sehr strukturiertes Leben mit Internat, Trainingsplänen und eben Hunderten Rennwochenenden. Wie schwer bzw. wie leicht ist Ihnen damals der Übergang ins – nennen wir es – normale Leben gefallen?
Eberharter: Nicht wirklich schwer, weil du dich auch als Mensch weiterentwickelst. Weil andere Dinge im Leben mehr Priorität bekommen. Es war in jedem Fall ein schleichender Prozess und dann ist es wahnsinnig schnell gegangen.
Inwiefern?
Eberharter: Mich hat im Herbst 2003 von Oktober bis Dezember eine hartnäckige Verkühlung geplagt, vielleicht war’s auch schon eine mentale G’schicht, aber ich habe den Turnaround noch einmal geschafft. Ich konnte noch vier Abfahrten gewinnen, darunter der famose Kitzbühel-Sieg, aber für mich war zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass ich es lassen werde. Just am Ende einer meiner besten Saisonen habe ich gespürt, dass es das war. Dass ich nicht mehr bereit bin, Kopf und Kragen zu riskieren. Dass es gut ist, wie es ist. Und dass es Zeit für etwas Neues ist.
Was war nach dem Rücktritt das vorherrschende Gefühl?
Eberharter: Erleichterung – auch, weil ich da gesund rausgekommen bin. Nicht selbstverständlich. Dazu kam die Neugierde, die Vorfreude aufs neue Leben. Auch mit meiner späteren Frau. Ich bin kein anspruchsvoller Mensch. Ich habe nie von einem eigenen Boot oder einem schicken Auto geträumt, wohl aber als Internatsschüler von einem eigenen Heim. Mein Karriereziel war es, mir einmal ein eigenes Haus leisten zu können, wo ich dann mit meiner Familie leben kann.
Man weiß von Ihnen, dass Sie regelmäßig Motivationsvorträge geben. Was machen Sie sonst beruflich?
Eberharter: Ich bin selbstständig, habe noch zahlreiche Kooperationsverträge mit Firmen von früher und auch neue Partner wie Uniqa, Volksbank Tirol, Colmar oder Atomic, mit denen ich verschiedenste Sachen mache.
Zum Beispiel?
Eberharter: Zum einen Repräsentation der Produkte, zum anderen Kundenveranstaltungen, wo ich referiere. Und mit meinem Vortrag „Wie Sieger denken“ bin ich auch für jedermann zu buchen. Ich habe ein erfülltes Berufsleben, aber auch sehr viel Freizeit. Und das war mir auch wichtig. Ich wollte nach dem Karriereende nicht in einen Fulltime-Job einsteigen, ich hatte viele Angebote, auch als ORF-Kommentator oder Rennchef einer Skifirma, aber das wäre damals nichts gewesen.
Und heute?
Eberharter: Ich bin dankbar so, wie es ist.
Nicht zuletzt, weil Sie finanziell ausgesorgt haben?
Eberharter: Darum geht’s nicht. Es gibt mehr Leute, als man denkt, die theoretisch nicht mehr arbeiten müssen – und sei es, weil sie entsprechend geerbt haben. Aber klar ist auch, dass jeder Mensch eine Beschäftigung braucht.
Ihr Sohn Felix wird bald zehn. Tritt er in die Fußstapfen des Papas?
Eberharter: Wenn es um die Eigensinnigkeit geht, dann ja. Und wenn du den Sport ansprichst: Ja, er liebt das Skifahren, aber ob er Rennfahrer wird, das weiß ich nicht. Da muss ich ein bisserl ausholen.
Gerne.
Eberharter: Die Verletztenbilanz im Skisport ist desaströs. Ich sag’ einmal: Neun von zehn Athleten erwischt es. Das Material hat sich enorm entwickelt. Wir hatten zu meiner Anfangszeit noch 2,10 m lange Latten, mit denen man mehr oder weniger schnell runtergerutscht ist. Dabei musste dein Körper die freiwerdenden Kräfte nicht ansatzmäßig so absorbieren, wie das heute der Fall ist. Heute setzen schon die Jugendlichen die Geräte ordentlich in das Eis – wie auf Schienen. Wie es teilweise schon bei den Kinderrennen zugeht, ist ein Wahnsinn. Bindungsplatten, steife Schuhe, Carvingski – für meinen Geschmack alles schon zu extrem. Aber klar ist auch: Wenn du bei diesem Spiel nicht mitmachst, bleibst du von Haus aus auf der Strecke.
Mal abgesehen vom Material: War das vor 40 Jahren grundlegend anders?
Eberharter: Das nicht, aber die Belastungen, die inzwischen auf Bänder und Gelenke gehen, sind ungleich höher. Die Geschwindigkeit war immer da, aber Kreuzbandrisse waren die Ausnahme und die Klagen über permanente Rückenprobleme gab es in dieser Häufigkeit auch nicht. Diese Fliehkräfte, diese Energie, gegen die du dich wehren musst, sind heutzutage enorm, da kommt der Körper nicht mehr mit. Und schon gar nicht ein Körper eines Jugendlichen. Offen angesprochen wird das nie. Auch, weil sich wohl einige Eltern fragen würden, ob sie das ihrem Kind schon zumuten wollen. Und dafür brauche ich nicht irgendwelche Statistiken oder Analysen von beauftragten Universitäten.
Steckbrief Stephan Eberharter
geboren am 24.3.1969 in Brixlegg;
Wohnort: Stumm im Zillertal;
verheiratet mit Birgit, Sohn Felix (9 Jahre).
Hobbys: Musizieren (Steirische Harmonika), Golf, Radfahren, Langlaufen, Wandern.
Die größten Erfolge:
Olympia (1 Gold, 2 Silber, 1 Bronze): Gold Riesentorlauf 2002, Silber Super-G 2002 und Riesentorlauf 1998, Bronze Abfahrt 2002.
WM (3 Gold, 1 Silber): Gold Super-G 2003, Gold Super-G und Kombination 1991, Silber Super-G 2001.
Weltcup-Gesamtsiege (2): 2001/2002 und 2002/2003.
Weltcup-Disziplinen-Siege (5): Abfahrt 2001/2002, 2002/2003 und 2003/2004, Super-G 2001/2002 und 2002/2003.
Weltcup-Siege (29): 18 Abfahrt, 6 Super-G, 5 Riesentorlauf.
Weltcup-Podestplätze (75): 38 Abfahrt, 24 Super-G, 13 RTL.
Sie sind braun gebrannt, gut durchtrainiert ...
Eberharter: ... weil ich viel und gerne sportle, weil Sport meine Leidenschaft geblieben ist. Ich bin heuer schon 500 Kilometer auf dem Rad gesessen. Nur mit dem Langlaufen war nicht viel, weil es mich – beim Skifahren – geschmissen hat. Die Bindung ist an einer blöden Stelle aufgegangen, eine geprellte Rippe war die Folge.
Inwieweit führen Sie Buch über Ihre sportlichen Aktivitäten?
Eberharter (zeigt auf seine Sportuhr): Ich weiß schon Bescheid, wie viel ich unterwegs bin, Kilometer, Höhenmeter und so, auch die Pulskontrolle ist wichtig. Aber: Ich bin kein Statistiker. Ich schau’ mir die Daten an – und fertig. Vergleichen tue ich nichts. Ich habe vor 15 Jahren, am Tag meines letzten Rennens, mit dem Wettkämpfen aufgehört. Ich muss mich nicht mehr beweisen, ich brauche diese Challenge nicht mehr, in keinster Weise. Wenn ich beispielsweise beim Koasalauf mitmache, dann aus Spaß, aus Genuss.
Wettkampf ist das eine, Ehrgeiz das andere.
Eberharter: Ab und zu ertappe ich mich schon dabei, dass ich mehr will. Der Leistungsgedanke ist schon noch vorhanden. Aber manchmal muss man sich auch eingestehen, dass man älter wird.
Woran merken Sie, dass Sie keine 20 mehr sind?
Eberharter: Da, bei die Haar (zeigt auf den doch noch recht stattlichen Haaransatz und lacht lauthals auf). Alles halb so schlimm. Der Rücken hat schon was abbekommen, nicht nur vom Skifahren, auch vom jahrelangen Krafttraining. Auch beim Nacken habe ich immer wieder Verspannungen, an denen ich arbeiten muss. Mir ist aber klar, dass es vielen Bürobediensteten nicht anders geht. Im Endeffekt bin ich mehr als happy, wie gut es mir geht.
Als leidenschaftlicher Radfahrer und Langläufer: Wie haben Sie die jüngsten Doping-Enthüllungen verfolgt?
Eberharter: Sehr intensiv. Ich möchte eines vorausschicken: Für mich hat immer eine Devise gegolten: Ehrlichkeit vom Anfang bis zum Schluss. Ich war auch sehr erfolgreich, hatte aber mit dem Hermann (Maier, Anm.) einen übermächtigen Gegner. Aber ich habe mich nie – nicht einmal – damit befasst, dass ich manipulieren könnte. Ich hatte nicht einmal einen diesbezüglichen Gedanken. Und ich hatte auch keinen Gedanken verschwendet, und das war vielleicht ein bisserl naiv, dass andere manipulieren könnten.
Wie haben Sie die weltmeisterlichen Langlauf-Entscheidungen in Seefeld miterlebt?
Eberharter: Zunächst mit viel Begeisterung. Am Ende etwas ratlos, weil man nicht weiß, was man glauben kann oder soll. Wenn eine Johaug den Rest der Welt so herpaniert oder ein Bolschunow nahezu jeden Bewerb läuft, da fragt man sich schon, was ein Körper zu leisten imstande ist.
Und die überführten ÖSV-Athleten?
Eberharter: Ohne Worte. Aber eines möchte ich festhalten: Ich habe eine lebhafte Phantasie. Wenn es heißt, dass demnächst im Zillertal Außerirdische landen, dann kann ich mir das theoretisch vorstellen. Aber dass die ÖSV-Führung verbotene Praktiken organisiert, davon weiß oder solche Vorgänge sogar deckt, das nicht. Das schließe ich für mich aus.
Losgelöst von irgendwelchen Verbänden: Steht Doping bzw. der Sportbetrug an der Tagesordnung?
Eberharter: Mag sein, man muss sich generell die Frage stellen: Warum betrügt der Mensch?
Warum betrügt der Mensch?
Eberharter: Weil er eine gute und eine schlechte Seite in sich hat. Bei den meisten überwiegt die gute, aber wer von uns ist noch nie in Versuchung geraten? Sei es, dass er einmal schneller mit dem Auto gefahren ist oder sich nicht rechtmäßig im Job oder sonstwo einen kleinen Vorteil rausgeholt hat. Wer nicht?
Es ist aber ein Unterschied, ob ich einmal ein Tempolimit überschreite oder ob ich wissentlich dope?
Eberharter: Klar, aber warum dopt einer? Weil er aus der Not handelt, glaubt, dass es ohne nicht geht, oder weil er finanzielle Probleme hat. Oder weil er sich als etwas Größeres sieht und glaubt, damit durchzukommen. Das ist aber auch ein gesellschaftliches Thema. Trotz scharfer Gesetze gibt es Mord, Totschlag, Vergewaltigungen, Banküberfälle etc. Und im Sport eben Doping und andere Tricksereien. Ich bin absolut für eine noch rigorosere Gesetzgebung, aber letztlich lässt mich die ganze Thematik auch ein Stück weit ratlos zurück.
Abschlussfrage: Gibt’s noch einen unerfüllten Wunsch, den Sie sich für die kommenden 50 Jahre aufgespart haben?
Eberharter: Nein, ich bin und war nie einer, der lange in die Zukunft blickt. Oft kommt es anders, als man sich das erwartet. Ich bin dankbar, so wie es jetzt ist, und hoffe, dass es noch lange so bleibt.
Das Gespräch führte Max Ischia