“Herbstrasen“: Eine Suche nach der Schönheit im Verfall
Das Theater unterLand zeigt unter der Regie von Irene Turin einen berührenden Einakter, der nicht nur das „Altern in Würde“ als Thema aufgreift, sondern auch die Frage aufwirft, wie viel Platz man dem Egoismus im eigenen Leben einräumen soll.
Von Jasmine Hrdina
Wörgl –Eine verbarrikadierte Tür, acht Molotow-Cocktails über eine Wohnung verteilt und eine im Lehnstuhl schlafende betagte Frau mit Feuerzeug in der Hand, dazu klassische Musik: So wird das Publikum bei der österreichischen Erstaufführung von „Herbstrasen“ nach dem Werk des US-amerikanischen Autors Eric Coble im Wörgler Komma abgeholt.
Das Theater unterLand zeigt unter der Regie von Irene Turin einen berührenden Einakter, der nicht nur das „Altern in Würde“ als Thema aufgreift, sondern auch die Frage aufwirft, wie viel Platz man dem Egoismus im eigenen Leben einräumen soll.
Die 79-jährige Künstlerin Alexandra verliert zunehmend an motorischen und kognitiven Fähigkeiten, kann die Erinnerungen an ein ausgiebig gefeiertes Leben kaum mehr in Worte fassen („Ich werde immer weniger ich selbst“). Ihr verlorener Sohn Christopher kehrt zurück nach New York, um „einmal im Leben etwas richtig zu machen“ und die Alleinstehende zum Umzug ins Seniorenheim zu überreden.
Doch die Mutter will ihr selbstbestimmtes Leben in ihren eigenen vier Wänden nicht aufgeben. Während Christopher verbale Überzeugungsarbeit leistet, drohen seine Geschwister vor der Tür, die Betagte mittels Polizei einweisen zu lassen.
Ausreichende 80 Minuten lang werden dem Zuseher Einblicke in das Leben zweier Menschen gewährt („Dein Schwul-Sein war für deinen Vater nur etwas, das er nicht so mochte – so wie Gorgonzola“), deren Blutsverwandtschaft allein sie nicht einander näherzubringen vermag. Generationenzwist („Im Fernsehen benutzen sie Fantasiewörter und tun so, als ob ich sie kennen müsste“) und typische Probleme des Alterns („Mein Rücken und ich haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein guter Nachmittag ist“) sind hier inklusive.
Gelingt es den beiden, das Verbindende über das Trennende zu stellen? Kommt Alexandra der Bitte des Sohnes nach, oder zündet sie doch die Molotow-Cocktails?
Brigitte Einkemmer altert als Alexandra auf der Bühne derart, dass einem die Glieder beim Schlussapplaus vom Zuschauen schmerzen. Dabei legt sie Gebrechlichkeit nicht nur authentisch in den Körper, sondern auch in die Stimme. Nur der allzu schnelle Griff nach einem (vermutlich ungewollt) kippenden Glas verrät die agile Laien-Darstellerin hinter der Figur.
An ihrer Seite hatte Profi Phillip Beck nur zwei Wochen und vier Proben Zeit, um in die Rolle des Christopher zu finden; der ursprüngliche Darsteller erkrankte kurz vor der Premiere. Eine Herausforderung für das ganze Ensemble. Als liebevoller Sohn überzeugt er, extreme Mimiken auf der kleinen Bühne wirken teilweise aufgesetzt, manche Pointe sprachlich zu gewollt präsentiert.
Insgesamt eine ergreifende, durchaus humorvolle Inszenierung über ein gesellschaftliches Top-Thema und die Suche nach der Schönheit im Verfall.