Brexit - Experten erwarten bei Deal Anwendung des „Backstop“

London (APA) - Die Auffanglösung für die irisch-nordirische Grenze nach dem Brexit („Backstop“) dürfte laut Experten zur Anwendung kommen, w...

London (APA) - Die Auffanglösung für die irisch-nordirische Grenze nach dem Brexit („Backstop“) dürfte laut Experten zur Anwendung kommen, wenn der Austrittsdeal doch noch im britischen Parlament durchgeht. „Niemand scheint ihn verwenden zu wollen, aber weil sich die beiden Seiten einen sehr kurzen Verhandlungshorizont gesetzt haben, glaube ich, dass der ‚Backstop‘ in Kraft treten wird“, sagt Anton Muscatelli.

Aus Sicht des Wirtschaftsprofessors von der Universität Glasgow hätten die bisherigen Verhandlungen zwischen London und den EU-27 über das Austrittsabkommen eigentlich der einfachere Teil sein sollen, wie er im Gespräch mit der APA sagt. „Das ist meine Sorge: Auch wenn es angenommen würde, wäre das wirklich Schwierige, in den nächsten paar Jahren ein tief gehendes Freihandelsabkommen auszuverhandeln. Es hat sieben Jahre gedauert, das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU zu verhandeln. Das sind keine trivialen Abkommen.“

Er verstehe die Bedenken rund um den „Backstop“, sagt Muscatelli. „Aber von dem Moment an, als die Premierministerin angekündigt hat, dass sie das Vereinigte Königreich aus dem Binnenmarkt und der Zollunion führen will, wurde das Erhalten der offenen Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland sofort zu einem wirklichen Problem. Und nachdem das Vereinigte Königreich seine Verantwortung gemäß dem Karfreitagsabkommen (zur Beendigung des Nordirland-Konflikts) akzeptiert hat, das ein internationaler Vertrag ist, war es fast unmöglich zu lösen.“

Ohne „Backstop“ lasse sich die Grenzfrage nur lösen, wenn das Land im Binnenmarkt und in der Zollunion bleibe. „Und die meisten Experten, die meisten Ökonomen haben das eine Woche nach dem Referendum verstanden. Es erscheint bemerkenswert, dass die britische Regierung dieses Problem nicht erkannt hat und dass diese Sache sehr schwer zu verkaufen sein würde“ - besonders der nordirischen Partei, von deren politischer Unterstützung sie abhänge, meint Muscatelli in Anspielung auf die Democratic Unionist Party (DUP).

Die Grenze einfach einseitig offenzulassen, wie manche Brexit-Hardliner argumentiert haben, sei jedenfalls keine Lösung, unterstreicht der Experte auf eine entsprechende Frage. Für die EU wäre es ein großes Problem, da es „ein großes Loch im Binnenmarkt“ hinterlassen würde, „aber das Vereinigte Königreich hat auch Verpflichtungen, wenn es, wie die Brexiteers sagen, unter WTO-Regeln operieren will“. Eine Folge wäre Schmuggel, eine andere aber auch, dass verantwortungsbewusste Händler so nicht Handel treiben würden. Es hätte also auf jeden Fall „einen massiv störenden Effekt“.

Der Politik-Professor Michael Keating, Direktor des Centre on Constitutional Change an der Universität Edinburgh, bezeichnet den „Backstop“ überhaupt als etwas, das nicht „als temporäres Arrangement, sondern als Minimalbasis eines Langzeit-Arrangements“ eingerichtet werden müsste. „Er ist keine Alternative zur zukünftigen Beziehung, er muss eine Komponente der zukünftigen Beziehung sein.“

Der „Backstop“ würde das gesamte Vereinigte Königreich in der Zollunion und Nordirland zumindest teilweise im Binnenmarkt halten, weil das der einzige Weg sei, die offene Grenze zu bewahren. „Außer natürlich man möchte nur Nordirland in der Zollunion haben, in diesem Fall muss es eine Grenze zwischen Großbritannien und Nordirland geben.“ Das seien die einzigen Möglichkeiten. „Und wenn das die einzigen Wege sind, um die Grenze offenzuhalten, dann ist das permanent. Und was auch immer den ‚Backstop‘ ersetzt, muss den ‚Backstop‘ reproduzieren.“

Verhandelbar wäre möglicherweise nur der Punkt, wonach das gesamte Vereinigte Königreich in der Zollunion wäre, auf den die Briten bestanden hätten und nicht die EU. Doch eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs sei „eine der roten Linien der DUP“, die das nicht akzeptieren würde.

Mit dieser Haltung habe die nordirische Unionistenpartei wohl auch nicht ganz Unrecht, sagt Keating. „Die Nationalisten in Nordirland sagen, es kann keine Grenze zwischen den beiden Teilen Irlands geben, das sei gegen den Geist des Karfreitagsabkommens.“ Und genauso könne auch die DUP sagen, „es kann keine Grenze zwischen Großbritannien und Nordirland geben, denn das ist auch gegen den Geist des Karfreitagsabkommens“.

Wenn es keinen Deal gebe, dann werde es auch keinen „Backstop“ geben und die Lage wäre noch unklarer, sagt Keating. Er konstatiert bei manchen in London auch einen gewissen Mangel an Verständnis dafür, „wie fragil die Situation“ in Nordirland sei. „Sie sagen, wir werden keine Grenzposten errichten, es wird schon gehen.“ Dann werde eben die eine oder andere Flasche Whiskey geschmuggelt. „Darum geht es nicht. Es geht um eine Sicherheitsbedrohung. Es geht um die paramilitärische Präsenz an diesen Grenzen.“

Keating stellt sich dabei auch eine ganz grundsätzliche Frage: „Wie kann jemand, der sagt, unser Ziel ist es, die Kontrolle über unsere Grenzen zurückzuhaben, sagen, wir werden keine Kontrolle an unserer einzigen Landgrenze haben? Was ist denn daran logisch?“

(Die Gespräche führte Alexandra Angell/APA)