Finde den Unterschied
Auch in der zweiten Initiative von INN SITU gelingt Hans-Joachim Gögl der Brückenschlag zwischen global und lokal sowie zwischen den Künsten.
Von Barbara Unterthurner
Innsbruck –Alles begann mit einer Aufnahme aus dem eigenen Familienalbum von Fotokünstlerin Orly Zailer. Es war das Bild ihrer Eltern, etwa zehn Jahre vor ihrer eigenen Geburt entstanden, das sie ständig begleitete. Von ihrer Heimat Israel nach London, wo Zailer am Goldsmiths College studierte, oder auch in ihrer Zeit an der NB Haifa School of Design. Kein hochwertiges Foto, sondern ein Schnappschuss, eine Erinnerung an gute Zeiten, lachen Vater und Mutter auf dem Foto doch quasi um die Wette.
Als eines Tages eine Aufgabenstellung im Studium die Auseinandersetzung mit dem eigenen Familienalbum verlangte, lag es nahe, dass Orly Zailer auf das besagte Porträt ihrer Eltern zurückgriff. Um selbst in die Erinnerung einzutauchen, machte Zailer das Naheliegendste: Sie stellte das Porträt nach. Sie wurde zu ihrer Mutter, ihr Freund gab den Vater im gestreiften Hemd und den längeren Haaren, die er dafür extra wachsen ließ. Aus einem Schnappschuss wurde eine akribisch inszenierte, einmalige Wiederholung. Das war 2012. Bald schon erkannte Zailer, dass es sich bei dieser Arbeit nicht um ein Experiment, sondern eine Serie handelt. Oder eine „work in progress“, weitete Zailer ihr „The Time Elapsed Between Two Frames“ doch jetzt nach Tirol und Vorarlberg aus.
Der Anlass dafür ist das aktuelle Projekt von INN SITU. Der künstlerische Leiter Hans-Joachim Gögl präsentiert damit seine zweite Initiative, für die er erneut internationale Fotokünstler mit der Region verbinden sowie regionale Musiker zur Entwicklung eines eigenen Projekts anregt. Die Israelin Orly Zailer hat dafür ihre Werkserie um 20 weitere Porträts erweitert. Ab morgen werden diese sowie die restlichen fotografischen Gegenüberstellungen der Künstlerin in der Ausstellung „Ahnen. Neue Porträts“ im Fo.Ku.S der BTV im Stadtforum gezeigt.
Zu sehen sind dort die Ergebnisse der zehnmonatigen Vorbereitungszeit. Nach einem öffentlichen Aufruf nach altem Fotomaterial wurden passende Paarungen gesucht. Akribisch verlief die Recherche der Künstlerin in der Region – etwa nach den Orten auf den Bildern –, intensiv die Auseinandersetzung mit den Geschichten der Beteiligten.
Original und Inszenierung hängen in der Ausstellung dann streng nebeneinander, die Titel ergeben sich aus dem Zeitsprung, der zwischen den jeweils zusammengehörenden Aufnahmen steckt. In der Durchsicht wird dann vor allem der Spieltrieb angeregt – der Betrachter versucht zwischen Original und Inszenierung zu differenzieren und untersucht die Bilder auf ihre kleinen Unterschiede – die durchaus bewusst gesetzt sind.
Diese „Fehler“ sind auch erst der Anreiz des ansonsten simplen Zugangs zum Projekt. Zailer macht bewusst, die nachgestellten Wirklichkeiten sind nicht Realität: Hier konnte das Auto nicht aufgetrieben werden, an anderer Stelle verwendet die Seilbahn neue Kabinen. Es ist Zeit vergangen. Das Werk lebt von mehreren Ebenen, die ein Betrachter lesen kann, aber nicht muss.
Eine „Bodenlosigkeit“ (wie Gogl sie nennt) an Fragen werde in dieser Serie aufgeworfen: jene nach Original, Erinnerung, Realität oder den Eigenschaften des Mediums Fotografie. Ist das Foto, das Zailers Eltern damals aufgenommen haben, überhaupt die Abbildung der Realität? Oder eigentlich auch wiederum ein Stück weit Inszenierung? Immerhin bleibt die Fotografie in einer gewissen Weise immer ausschnitthaft. Natürlich muss in dieser Hinsicht auch die Entwicklung des Mediums hin zur heutigen, inflationären Bildproduktion mitgedacht werden.
Zentral stehen auch Fragen zur eigenen Biografie, die das Werk zu etwas Persönlichem machen. In einem Porträt nimmt die Tochter die Position ihrer Mutter ein, die sie aber aufgrund ihres frühen Todes nie kennen gelernt hatte. Ein glücklicher Augenblick wird nochmals revitalisiert und das Foto kann hier sogar den Platz der realen, persönlichen Erinnerung einnehmen.