Komiker Selenskyj auf dem Sprung ins Kiewer Präsidialamt

Kiew (APA/Reuters/dpa/AFP) - Ein Komiker ohne jede politische Erfahrung steht kurz davor, den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko abz...

Kiew (APA/Reuters/dpa/AFP) - Ein Komiker ohne jede politische Erfahrung steht kurz davor, den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko abzulösen. In der ersten Runde der Präsidentenwahl verwies der aus einer TV-Serie im ganzen Land bekannte Schauspieler Wolodymyr Selenskyj am Sonntag Poroschenko mit großem Abstand auf Platz Zwei.

Der 41-Jährige spielt in der Fernsehserie „Diener des Volkes“ einen Lehrer, der unverhofft zum Präsidenten wird. Im echten Leben profitierte er von der Unterstützung derjenigen Wähler, die von der Korruption und der Wirtschaftskrise in der Ukraine frustriert sind. Über seine politischen Ziele ist wenig bekannt. Wie Poroschenko steht er für eine Westbindung und Unabhängigkeit von Russland. Die Entscheidung fällt nun in einer Stichwahl am 21. April.

Nach der Auszählung von 85 Prozent aller Stimmen kam Selenskyj nach Angaben der Wahlkommission auf 30,4 Prozent. Ihm folgten Poroschenko mit 16 Prozent und die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit 13,3 Prozent. Timoschenko schloss am Sonntagabend eine Anfechtung des Ergebnisses nicht aus. Die Wahlkommission bewertete die Wahlen als weitgehend frei und fair. Auch die internationale Beobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zog eine positive Bilanz. Die Wahl wurde gut durchgeführt, sagte die Leiterin der OSZE-Wahlbeobachter, Doris Barnett, am Montag in Kiew. „Ich habe große Erwartungen, dass das Ergebnis anerkannt wird und die zweite Runde genauso friedlich, geordnet und effizient sein wird“, betonte sie.

Selenskyj dankte seinen Anhängern am Sonntagabend. „Das ist nur der erste Schritt zum großen Erfolg“, kommentierte Selenskyj die Prognosen. Er betonte, als unabhängiger Kandidat weitermachen zu wollen. „Wir wollen uns mit niemandem zusammentun und haben keine Verhandlungen dazu geführt“, sagte er. Selenskyjs Stab dementierte am Montag auch Berichte, dass es zwischen ihm und dem Team von Timoschenko Verhandlungen über eine Kooperation gäbe. Beide Kandidaten verbindet, dass sie vom Oligarchen Ihor Kolomojskyj unterstützt wurden.

Selenskyj profitierte von einer Stimmung im Land gegen die etablierte Politik und führte seinen Wahlkampf viel über soziale Medien und mit Witzen gegen das System. Kritiker erinnerte das an US-Präsident Donald Trump und die italienische 5-Sterne-Bewegung. Im Westen sorgen sich manche Politiker mit Blick auf Selenskiys politische Unerfahrenheit in dem vom Krieg im Osten, Korruption und Wirtschaftsmisere gebeutelten Land. In der Ukraine streiten seit längerem westliche und russische Einflüsse gegeneinander.

Eine Bestätigung des einstigen Hoffnungsträgers Poroschenko im Amt schien in Umfragen schon fraglich. Der 2014 zum Präsidenten gewählte Schokoladenfabrikant hat bei den meisten Ukrainern an Ansehen verloren und versprochene Reformen verschleppt. Auch die Annäherung an die Europäische Union verläuft langsamer als vielfach gewünscht. Gut fünf Jahre nach der Revolte auf dem Maidan ist die Hoffnung der ukrainischen Bevölkerung auf ein besseres Leben weitgehend verpufft.

Poroschenko gab die Wahl aber nicht verloren. Er sprach von einer „ernsten Lektion“. Die Wähler wollten Veränderungen, aber schneller, tiefer und von höherer Qualität, sagte der Präsident am Sonntagabend. Er habe die Beweggründe der Wähler verstanden. Gleichzeitig gab er sich siegessicher. Er versprach mit Blick auf seinen Kontrahenten, dass die „Witze am 21. April vorbei sein“ werden. „Wir werden sicher gewinnen“, betonte der Präsident.

Bei den Ukrainern in Österreich stimmte eine eindeutige Mehrheit für Poroschenko. Der Amtsinhaber kam in der ukrainischen Botschaft in Wien auf 46,12 Prozent der abgegeben Stimmen, der Fernsehkabarettist Selenskyj auf 19,39 Prozent. Timoschenko schnitt in Wien mit 4,09 Prozent indes schlecht ab.

Selenskyj hatte zwar bereits in den Umfragen vor der Wahl geführt, das Ausmaß seines Erfolges kam dennoch für viele Ukrainer überraschend. Experten sehen bei der Stichwahl nur noch geringe Chancen für den amtierenden Präsidenten Poroschenko: „Bei ihm ist keine Luft mehr nach oben. Er hat alle seine Trümpfe ausgespielt“, sagte der politische Analyst Anatoli Oktysjuk aus Kiew. Selenskyjs Erfolg sei ein „Protest gegen alte Eliten und ein Ruf nach neuen Gesichtern“. Er gehe davon aus, dass Poroschenko sich im zweiten Wahlgang als den einzigen Kandidaten präsentieren werde, der dem Nachbarland Russland etwas entgegenzusetzen habe, sagte Oktysjuk weiter.

Auch der österreichische Meinungsforscher Christoph Hofinger sieht „bessere Chancen“ bei Selenskyj. Selenskyj habe nämlich wenige Gegner, während ausgeschiedene Kandidaten das Motto „Hauptsache nicht Poroschenko“ ausgegeben hätten, sagte Hofinger am Sonntagabend in der „ZiB2“. „Wenn Selenskyj keinen krassen Fehler macht, hat er aus heutiger Sicht die besseren Chancen“, sagte Hofinger, der mit seinem Institut SORA eine Wählerbefragung für den ukrainischen Sender News One durchgeführt hatte.

Ranghohe russische Politiker werteten das schlechte Abschneiden von Poroschenko in der Ukraine als Protest gegen seine anti-russische Haltung. „Es ist der Beweis, dass die Politik des Präsidenten gescheitert ist“, sagte der Außenpolitiker Leonid Sluzki der Agentur Tass zufolge am Montag. Weder Wahlmanipulationen, Sanktionen gegen Russland noch die Unterstützung des Westens hätten Poroschenko geholfen, sagte Sluzki, der den Außenausschuss im russischen Parlament leitet.

Rund 30 Millionen Wahlberechtigte waren in dem Krisenland zur Abstimmung aufgerufen. Die von Russland unterstützten abtrünnigen Regionen Donezk und Luhansk im Kriegsgebiet Donbass nahmen nicht an der Abstimmung teil. Auch wurde russischen Wahlbeobachtern die Arbeit in der Ukraine verweigert. Man werde deshalb dem russischen Parlament empfehlen, die Wahl nicht anzuerkennen, sagte der russische Außenpolitiker Leonid Kalaschnikow.

( 0403-19, 88 x 70 mm, Alternative Schreibweise: Wladimir Selenski)